Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.3. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (3)

8 40. Befugnisse jeder einzelnen Kammer als Kollegium. 67 
desten ungefährdet bleibe. Recht und Aufgabe der Stände ist es, darüber zu wachen, daß 
die Minister und Mitglieder des Staatsministeriums diese ihre Pflichten erfüllen. Zu 
diesem Behufe steht ihnen zu, bei Pflichtverletzungen der Minister die Verantwortlichkeit 
derselben in voller Schärfe, auf dem Wege der Ministeranklage zur Geltung zu bringen. 
Und zwar hat die Zweite Kammer das Recht, die Minister und Mitglieder der obersten 
Staatsbehörde wegen einer durch Handlungen oder Unterlassungen wissentlich oder aus 
grober Fahrlässigkeit begangenen Verletzung der Verfassung oder anerkannt verfassungs- 
mäßiger Rechte oder schweren Gefährdung der Sicherheit oder Wohlfahrt des Staates 
förmlich anzukloagen. Die Erste Kammer übt hierbei als Staatsgerichtshof in Verbindung 
mit dem Präsidenten des Oberlandesgerichts und acht weiteren Richtern, welche aus den 
Kollegialgerichten des Landes durch das Loos bezeichnet und der Ersten Kammer beigeordnet 
werden, das Richteramt aus. Das Nähere hierüber s. u. 
§ 40. E. Befugnisse jeder einzelnen Kammer als Kollegium. Jede Kammer bildet 
für sich allein ein berathendes und beschließendes Kollegium, welches geleitet und nach 
Außen repräsentirt wird durch sein Bureau, d. i. durch das Präsidium und die Sekretäre. 
Im Einzelnen gilt in dieser Beziehung Folgendes: 
1. Jede Kammer prüft die Wahlen ihrer Mitglieder — was die Erste Kammer 
betrifft, soweit in dieselbe die Mitglieder durch Wahl berufen werden — und sie aus- 
schließlich erkennt über die Giltigkeit derselben 1. 
2. Den Präsidenten und die etwaigen Vizepräsidenten der Ersten Kammer ernennt 
der Großherzog, und zwar für jeden Landtag. Die Zweite Kammer wählt selbst ihre 
Präsidenten und ihre etwaigen Bizepräsidenten, ebenfalls für jeden Landtag neu?2). Jede 
Kammer wählt ferner für jeden Landtag ihre Sekretäre ?. 
3. Soweit nicht die Verfassungen oder ein anderes Gesetz die Geschäftsformen vor- 
geschrieben hat, bestimmt dieselben jede Kammer für sich in ihrer Geschäftsordnung. 
4. Während der Verhandlungen übt der jeweilige Vorsitzende die Polizei im Sitzungs- 
saale und zwar sowohl gegen die Mitglieder des Hauses als gegen die Zuhörer 0. 
5. Gegen die Mitglieder des Hauses übt ausschließlich die Kammer theils durch ihre 
Präfidenten, theils durch ihre eigenen Beschlüsse die Disziplin wegen ihrer Aeußerungen 
bei Kammer-, Abtheilungs= und Kommissionsverhandlungen . 
1) V. U. § 41. Sie kann aber auch hier zur Aufklärung über Wahlvorgänge 2c. 2c. nicht un- 
mittelbar amtliche Erhebungen machen, sondern hat um die Veranlassung solcher die großherzogliche 
Regierung zu ersuchen. Bei der Ausübung ihres Entscheidungsrechtes haben die Kammern zwar das 
Gesetz zur Richtschnur zu nehmen, find aber rechtlich an keine Vorentscheidung der Behörden ge- 
bunden, da andernfalls ihr Entscheidungsrecht nicht ein unbeschränktes wäre, wie es das Gesetz will. 
Wohl aber werden sie thatsächlich nur in ganz ausnahmsweisen Fällen sich veranlaßt sehen, richterliche 
Entscheidungen über Vorfragen z. B. verwaltungsgerichtliche über Staatsbürgerrecht, Stimmrecht 2c. 2c. 
unberücksichtigt zu lassen. 
Bezüglich derjenigen Mitglieder der Ersten Kammer, deren Mitgliedschasft nicht auf Wahl be- 
ruht, pflegt eine Prüfung der Legitimation überhaupt nicht vorgenommen zu werden. Sollte fie im 
einzelnen Falle nöthig werden, so wäre auch dann nach Aehnlichkeit v. V. U. § 41 zur Entscheidung 
über die Mitgliedschaft nur die Kammer selbst zuständig, soweit es sich nicht um ein Recht der Re- 
gierung (z. B. Ernennung von Mitgliedern) handelt. 
2) V. U. § 43. Vor dem Gesetze vom 21. Dez. 1869 ernannte der Großherzog den Präsidenten 
der Zweiten Kammer aus drei von der Kammer gewählten Kandidaten. 
3) In der Ersten Kammer in der Regel zwei, in der Zweiten vier s. u. 
4) Gesch. O. der Erst. K. §§ 76, 77. Zw. K. 8§ 86, 87. 
5) Diese Disziplin ist ein Ausfluß der gesellschaftlichen (kollegialen) Verfassung der Kammer, 
sie kann deshalb nur gegen die Mitglieder dieses Kollegiums ausgeübt werden, nicht auch gegen Die- 
jenigen, welche, wie die Minister und Kommissäre der großherzoglichen Regierung, in der Versammlung 
dieses Kollegiums als Vertreter eines demselben rechtlich gleich und gegenübergestellten Faktors er- 
scheinen. Aus dem „Hausrechte" der Kammern könnte eine solche Disziplin gegen die Regierungs- 
vertreter ebensowenig abgeleitet werden. Wohl aber hat auch den Vertretern der Regierung gegen- 
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