O. Gruner: Haus und Hof im sächsischen Dorfe. 405
der Abstammung, als auf zäheres Festhalten an einer früher allgemein
üblichen Bauweise zurückzuführen sind. Wenigstens fehlt es nicht an nam-
haften Stimmen — ich nenne nur R. Henning sowie auch Dachler, — die
das Vorhandensein einer spezifisch slawischen Bauweise auf deutschem Boden
überhaupt in Abrede stellen. Ich selbst neige der Ansicht zu, daß das
Schema der Ringdörfer oder Rundlinge, das sich deutlich als die Erfindung
eines nomadisierenden Volkes verrät, so ziemlich der einzige Rest sein dürfte,
der im Bauwesen unserer Dörfer zweifellos slawische Eigenart bekundet,
während die wendische Terminologie für Haus und Wohnung die stärksten
deutschen Einflüsse aufweist.
Zweck und Ziel der Erforschung.
Ülber die Notwendigkeit oder den Wert der wissenschaftlichen Erforschung
von Haus und Hof, wie sie sich in unserem Vaterlande auf dem Dorfe heute
vorfinden, wie sie früher ausgesehen haben und wo sie ihren Ursprung her-
leiten mögen, können vielleicht verschiedene Ansichten bestehen. Reine Nütz-
lichkeitsmenschen werden gegen solche Bemühungen etwa den Einwand erheben,
daß hier gegebene Thatsachen vorliegen, an denen gelehrte oder bautechnische
Grübeleien oder Deutungen doch nichts zu ändern vermögen und daß nament-
lich ein praktischer Erfolg, etwa ein Hilfe für die schwer daniederliegende
Landwirtschaft, auf diesem Wege nicht zu hoffen sei. Dem läßt sich aber
erwidern, daß diese gegebenen Thatsachen, d. h. die ländliche Bauweise unserer
Tage, zumeist ein Produkt willkürlicher Entschließung ist, entstanden durch
Gesetze und Baupraxis, die sich eben vor einem solchen Eingehen auf die
Eigenart bisher scheuten und deshalb ohne Kenntnis der historischen Ent-
wickelungen verfuhren, weshalb sie auch ihrem Zwecke so schlecht entsprechen,
und daß ferner eine Untersuchung der baulichen Zustände früherer Zeiten
vielfach den Beweis zu liefern vermag, daß die Landwirtschaft mit einem viel
wohlfeileren Apparat an Gebäuden, ohne zinslose Festlegung eines großen
Kapitals in totem Inventar auszukommen vermag und daß sie sich früher
dabei thatsächlich wohler befunden hat.
Jedenfalls ist aber der Standpunkt der höhere und richtigere, der solchen
Forschungen den Wert und das Recht an sich beilegt, ohne Rücksicht auf den
unmittelbaren praktischen Nutzen; sind sie doch sicher ebenso berechtigt wie
jede andere Beschäftigung mit geistigen Angelegenheiten, durch die der mensch-
liche Horizont erweitert und das Dunkel, das viele Teile unserer Kultur-
geschichte noch bedeckt, erhellt wird.
Solche Forschungen haben aber nicht bloß wissenschaftlichen Wert, sie
sind auch für die Kunst von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Wenn
man nämlich, mit Recht, immer mehr dahin gelangt, das Dogma von der
Internationalität der Kunst, namentlich der Architektur, als unhaltbar fallen