Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
16 Wirtschafts-, Sozlal- und Finanzpolitik. VI. Buch. 
  
Die Zölle von fremdem Wein, von Champagner, bilden keine genügende Ausgleichung. 
So ist das ganze Hauptgebiet der Getränkebesteuerung durch Zoll und innere Steuer auch 
immer noch nicht entfernt in dem Maße im Deutschen Reich ausgebildet, als es prinzipiell 
unter den sogenannten indirekten Steuern und neben der hohen Tabakbesteuerung am 
meisten berechtigt erscheint und als es den Verhältnissen anderer wichtiger Länder, nament- 
lich anderer europäischer Großstaaten, entspricht. Von der Tabakbesteuerung gilt etwas Ahn- 
liches. Sie ist zwar durch Erhöhung der Zölle, besonders in der Reform von 1909, durch 
Hinzufügung der Zigarettensteuer und eines Wertzolls zum Gewichtszoll, etwas ergiebiger 
geworden, aber steht auch so noch immer in gar keinem Verhältnis zu den Einnahmen 
anderer Staaten aus der Tabakbesteuerung in Monopol- oder anderer Form. Neben 
Salz-, Zuckersteuern, Kaffee-, Petroleumzöllen, neben Zündholzsteuern, stellt ein solcher 
Zustand der Einnahmen aus Zöllen und indirekten Verbrauchssteuern ein starkes Miß- 
verhältnis dar. Namentlich ist durch das Zurückbleiben der Getränke- und Tabakbesteue- 
rung im Deutschen Reich hinter dem, was bei entsprechender, berechtigter und möglicher 
Entwickelung dieser Besteuerung zur Stärkung der Reichsfinanzen hätte erreicht werden 
können, die ganze Finanzlage des Reichs dauernd geschwächt geblieben. Selbst die er- 
folgte, aber noch nicht ausreichende Erhöhung dieser Besteuerung in den letzten Zahren 
genügt noch nicht und das langjährige Unterbleiben einer solchen Erhöhung hat es 
unvermeidlich gemacht, den Staatskredit für die so stark wachsenden Reichsausgaben in 
so übergroßem Maße in Anspruch zu nehmen. Einzelne erfolgte andere Zollerhöhungen, 
besonders die ohnehin etwas fragwürdige des Kaffeezolls, die berechtigte, aber auch noch 
nicht ausreichende Ausdehnung und Erhöhung der Verkehrsbesteuerung (Reichsstempel 
u#w.), die Einführung geringfügiger, sonstiger KReichssteuern wie der Erbschaftssteuer 
im bisherigen Umfang, haben zur Ausgleichung dieser Lücke im Reichsfinanz- und Steuer- 
spstem entfernt nicht ausgereicht und nicht ausreichen können. Die Einführung anderer 
ergiebiger direkter Reichssteuern, unter denen nach Lage der Dinge am ersten eine er- 
giebige Erbschaftssteuer nach Analogie der meisten vergleichbaren Staaten hätte in Be- 
tracht kommen können, unter ebenso notwendiger, wie zulässiger und berechtigter Aus- 
dehnung auf die direkte Deszendenz (Kinder und Frauen), ist unterblieben. Auch der 
Reichswehrbeitrag 1913 als einer außerordentlichen einmaligen Vermögenssteuer bietet 
eben keine dauernde finanzielle Hilfsquelle des Reichs und die Zuwachs-Vermögens- 
steuer ist unzulänglich. So ist aber die im ganzen ja immerhin gelungene starke 
Erhöhung der Reichseinnahmen aus Zöllen, inneren Verbrauchssteuern und teilweise 
auch aus den Verkehrssteuern eben doch einmal der Ergiebigkeit nach nicht ausreichend 
geblieben, andrerseits aber ist sie, vollends wenn man an die Wirkung der Agrarzölle 
denkt, im Reiche zu einer zu einseitig auf den großen unteren Volksmassen und teil- 
weise der unteren Mittelklasse ruhenden Belastung geworden. Das ist unter allen 
Umständen politisch unerwünscht, weil es einer, wenn auch oft sehr übertriebenen prin- 
zipiellen und praktischen Opposition und einer gehässigen und verhetzenden Agitation 
gegen diese ganze Besteuerung die Wege gewiesen und geöffnet hat. Es ist aber auch, 
vom Standpunkt gerechter Steuerverteilung aus, nach dem richtigen leitenden Haupt- 
prinzip, diese der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen anzupassen, 
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