Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
272 Binnenhandel. VI. Buch. 
Einer eingehenden Beantwortung bedarf die zweite Frage. Es ist von vornherein 
klar, daß sie je nach Lage des Falles scheinbar zu entgegengesetzten Schlußfolgerungen 
führen könnte. Ein Beruf, der vielen Personen Brot schafft, wird in der Regel hoch 
einzuschätzen sein; anderseits darf ein Beruf, der mit dem Aufwande eines kleinen 
Personals große Dienste dem gemeinen Wesen leistet, um dieser seiner Eigenart willen 
nicht gemißachtet werden, er wird im Gegenteil besondere Schätzung verdienen. Freilich 
wird die mechanische Auffassung, die gern an der greifbaren Zahl lebt, der letzteren 
Erwägung öfters das Anerkenntnis versagen. 
Die Zahl der Personen, welche gegenwärtig der 
deutsche Handel beschäftigt, ist mit reichlich 2 Mil- 
lionen anzusetzen. Diese Ziffer begreift den Handel 
im engeren Sinne, den Beruf der selbständigen Kaufleute und ihrer Angestellten 
(einschließlich der Arbeiter). Was an Handelstätigkeit in den Kontoren der Fabri- 
kanten pp. oder im Nebenberuf geleistet wird, bleibt ganz oder größtenteils außer 
Betracht. 
Vergleicht man den Handel als unmittelbar nährendes Gewerbe mit anderen Be- 
rufszweigen, so fällt ins Auge, daß die Zahl der von ihm lebenden Personen verhältnis- 
mäßig gering ist. Nach dem Ausweise der Berufsstatistik vom Jahre 1907 machte der 
Anteil, den das Handelsgewerbe an der Gesamtzahl der in Deutschland gewerblich tätigen 
Personen hatte, nur etwas über 7% aus, und es ist anzunehmen, daß seitdem keine allzu 
wesentliche Verschiebung erfolgt ist. Zedenfalls liegt auch für die Gegenwart die Tatsache 
vor, daß die anderen großen Produktionszweige, Landwirtschaft und Industrie, ein Heer 
von Personen beschäftigen, gegen welches das Häuflein der Kaufleute und ihrer Ange- 
stellten verschwindet. Soweit also in den wirtschaftlichen Kämpfen, die von den ver- 
tretern der verschiedenen Berufszweige ausgefochten werden, die bloße Kopfzahl als 
ausschlaggebendes Beweismaterial herangezogen wird, werden die Interessen des Kauf- 
mannsgewerbes stets einen schweren Stand haben. 
Oie gekennzeichnete Eigenart beruht auf dem Wesen des Handelsgewerbes. Seine 
Tätigkeit läuft auf Vermittlung des Umsatzes hinaus, ist somit zu einem erheblichen Teil 
eine dirigierende, bei dem körperliche Arbeit weniger in Betracht kommt. Soweit letz- 
tere erforderlich ist, wird sie in reichlichem Umfange durch Hilfsgewerbe, Spedition, 
Verkehrsanstalten usw., erledigt. Der Handel ist an sich ein menschenarmes Gewerbe. 
Die verhältnismäßig niedrige Zahl von Personen, welche vom Handel unmittelbar 
leben, hat ihm aber nicht den Vorwurf erspart, daß er überfüllt sei. Aach der (aller- 
dings nicht genauen) Statistik ernährte der deutsche Handel im Hauptberufe: 
Zahl der im Binnenhandel 
tätigen Personen. 
  
  
i. L. 882222222 842 269 Personen 
»1895...................... 120s 134 „ 
„ 100 1739 910 2 
Man kann darnach annehmen, daß die Zahl der Beschäftigten sich in den letzten 
25 Zahren um etwa 100% vermehrt hat. In eben dieser Zeit stieg die Bevölkerung 
720
	        
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