Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
0s Venkwesen. VI. Buch. 
  
der Industrie mußten sich, wie wir oben schon angedeutet, die Banken in der ver- 
schiedensten Weise durch Aktienübernahme, durch Gewährung von Anlage-, Betriebs- 
und Kontokorrent-Kredit beteiligen, und zu diesen Transaktionen brauchten sie Geld und 
immer wieder Geld. 
Man hat hinsichtlich der Depositen Vorschläge gemacht, die auf nichts weniger zielen, 
als auf eine gänzlich anderweitige Organisation unseres historisch gewordenen 
Bankwesens. Man möchte das Ubel an der Wurzel packen, und gerade die Erfahrungen 
der letzten Krisis haben Veranlassung gegeben, daß die öffentliche Meinung sich mit diesen 
Besserungsvorschlägen eingehend beschäftigt. Abgesehen von der schon erwähnten Maß- 
regel, eigene Depositenbanken nach englischem System zu errichten, verdient nament- 
lich der bekannte Vorschlag des Präsidenten der Zentralgenossenschaftskasse, Heiligen- 
stadt, besondere Beachtung. Heiligenstadt will alle Banken, die Depositen annehmen, 
gesetzlich verpflichten, 1—2 % vom jährlichen Durchschnittsbetrage ihrer sämtlichen Kre- 
ditoren bei der Reichsbank zu hinterlegen. Aus der angeblich zu geringen Liquidität 
der Banken folgert er, daß die fremden Gelder in zu großem Umfange für Anlagezwecke 
festgelegt worden sind, und er will durch seinen Vorschlag einen entsprechenden Teil 
des eigentlichen Betriebskapitals der deutschen Volkswirtschaft auch dauernd in liquiden 
Mitteln erhalten. Werden so auf der einen Seite die Betriebsmittel der Reichsbank 
verstärkt, so würden auf der anderen Seite auch die Banken verhindert werden, einen 
übermäßigen Teil der fremden Gelder festzulegen. Der Vorschlag, der sicherlich einen 
beachtenswerten Grundgedanken aufweist, hält näherer Prüfung nicht stand; kein Mensch 
und kein Gesetz kann die Banken zwingen, die ihnen entzogenen Nittel gerade aus ihren 
langfristigen Anlagen zu nehmen, und eine wirksame Durchführung des Heiligenstadt- 
schen Gedankens wäre überhaupt nur möglich, wenn die Privatbanken zur Haltung 
einer bestimmten Barreserve gesetzlich gezwungen würden. Gegen eine so ein- 
schneidende, die Betätigungsfreiheit der Banken schwer einengende Bestimmung aber 
lassen sich doch sehr starke Bedenken erheben; die Erfahrung hat gelehrt, daß derartige 
gesetzliche Bindemittel schließlich für die Allgemeinheit weit schädlicher zu sein pflegen 
als der auf der anderen Seite erhoffte Vorteil. Es kommt hinzu, daß aller Wahrschein- 
lichkeit nach der Reichsbank durch diese Zwangereserve neue Barmittel gar nicht zu- 
fließen würden; die Privatbanken würden wahrscheinlich nur ihr Giro bei der Reichsbank 
entsprechend verringern und die fragliche Quote der Reichsbank gutschreiben lassen. Ein 
anderer Reformvorschlag geht auf eine größere Publizität über die Geschäftsführung 
der Privatbanken, und man kann hier mit Befriedigung feststellen, daß die Berliner Groß- 
banken sich schon seit mehreren Jahren freiwillig entschlossen haben, in Zweimonats- 
bilanzen ihren Status in Form von Rohbilanzen vor der ÖOffentlichkeit darzulegen, 
und zwar nach einem bestimmten Schema. Gewiß soll man derartige Veröffentlichungen 
nicht überschätzen; wir können hierbei nur Bezug nehmen auf das, was wir bei Be- 
sprechung des Liquiditätsbegriffes gesagt haben. Auch durch die Zweimonatsbilanzen 
würden ungesunde Zustände, die intern bei den Privatbanken bestehen, kaum erkannt 
werden,; denn den einzelnen Konten kann wirklich nicht angesehen werden, ob im 
konkreten Falle liquide Beträge in ihnen stecken. Wechsel, Reports, Lombards gelten 
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