VI. Buch. Die Arbeiter-Sozialpolitik. 389
vor dem vollendeten 12. Lebensjahre in Fabriken überhaupt nicht beschäftigt werden,
nach dem 12. Lebensjahre nur dann, wenn ihnen, soweit schulpflichtig, mindestens ein
regelmäßiger dreistündiger Schulunterricht gesichert war. Die Arbeitszeit war auf
höchstens 6 Stunden täglich (mit einer halbstündigen Pause)beschränkt; die Nacht- (zwischen
8⅛ Uhr abends und 5½ Uhr morgens) und Sonntagsarbeit verboten. Außerdem mußte
die Zeit zum Besuch des Beicht- und Kommunionsunterrichts resp. des Konfirmanden-
unterrichts freigegeben werden.
Dieselben Bestimmungen galten für „unge Leute“ (zwischen 14 und 16 Jahren),
nur mit der Erweiterung, daß die Arbeitszeit für diese zehn Stunden täglich betragen
durfte, mit einer mindestens einstündigen Mittagspause und je einer halbstündigen Pause
am Vor- und Nachmittag.
Mit diesen Bestimmungen stand Deutschland in der ersten Linie der Kulturstaaten.
Aur waren die Schweiz und Österreich insofern weiter gegangen, als hier die Fabrik-
beschäftigung von Kindern (unter 14 Jahren) überhaupt verboten war. Die Zahl der
in deutschen Fabriken beschäftigten Kinder betrug 1888: 22 915; davon kamen auf das
Königreich Sachsen allein 11 474. Mit dem Arbeiterschutzgesetze von 1891 wurde nun der
entscheidende Schritt getan, daß wenigstens die schulpflichtigen Kinder aus den
Fabriken ausgeschlossen wurden. So sank die Zahl der beschäftigten Kinder von 27 455
im Jahre 1890 auf 4327 im Jahre 1893. Im Jahre 1911 betrug die Zahl der in
Betrieben mit 10 oder mehr Arbeitern beschäftigten Kinder 13404. Dabei muß
aber betont werden, daß es sich hier um schulentlassene Kinder handelt und eine
höchstens sechsstündige Beschäftigung jedenfalls das Maß der körperlichen Leistungs-
fähigkeit nicht übersteigt. Gewiß bleibt es ein erstrebenswertes Ziel, daß wenigstens
die Mädchen im Interesse ihrer häuslichen Ausbildung und Erziehung der Fabrik noch
länger ferngehalten werden.
Bezüglich der jjungen Leute“ (14—16 Zahre) sind die Schutzbestimmungen nur
insofern erweitert, als nach der Novelle von 1908 die zulässige Tagesarbeit auf die Zeit
von morgens 6 Uhr bis abends 8 Uhr beschränkt ist und eine ununterbrochene Nacht-
ruhe von elf Stunden gewährt werden muß.
Der Bundesrat hat das Recht, Ausnahmen von obigen Vorschriften zu erlassen, soweit solche durch
besondere Verhältnisse (z. B. bei Kampagne- und Saisonindustrien) gerechtfertigt erscheinen. Er hat aber
nur sehr zurückhaltend und mit beschränkenden Bedingungen von diesen Vollmachten Gebrauch gemacht. —
Zn Notfällen kann auch die untere Verwaltungsbehörde, die höhere Verwaltungsbehörde oder der Reichs-
kanzler Ausnahmen bezüglich der Arbeitszeit oder der Pausen gestatten, wobei aber den Arbeitern resp. dem
Arbeiterausschuß vorher Gelegenheit gegeben werden muß sich zu äußern. Ein Mißbrauch dieser Vollmachten
ist kaum zutage getreten.
Bei der Beschäftigung jugendlicher Arbeiter unter 18 Zahren ist der Arbeitgeber
verpflichtet, bei der Einrichtung der Betriebsstätte und des Betriebes auf Gesundheit
und Sittlichkeit besondere Rücksicht zu nehmen (GO. § 120c). Außerdem kann
der Bundesrat die Verwendung von jugendlichen (wie weiblichen) A#rbeitern für solche
Fabrikationszweige, die mit besonderen Gefahren für Gesundheit und Sittlich-
keit verbunden sind, verbieten oder von besonderen Bedingungen abhängig machen.
Solche Verordnungen sind erlassen für Glashütten, Herstellung von Zigarren, von Präservatios (aus
sittlichen Rücksichten), für Zuckerfabriken, Walz- und Hammerwerke usw.
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