Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
VIIl. Buch. Die katholische Kirche. 75 
hat sich in erfreulichem Maße erfüllt, und so bedauerlich die heutigen Streitigkeiten inner- 
halb des Katholizismus an sich auch sein mögen, so sind sie andererseits doch ein Beweis 
dafür, daß das konfessionell Trennende nicht mehr die Bedeutung hat wie früher, und 
daß die natürlichen Unterschiede der politischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkte wie- 
der zur Geltung kommen. Für den katholischen Volksteil selbst sind jene wieder erwachen- 
den inneren Gegensätze ein Zeichen gesteigerter Kraft und größerer oder geringerer 
Freiheit von äußerem Drucke. Denn wo solcher besteht, wirkt er inmer einigend auf die 
Betroffenen. Der hochsinnige Herrscher, dessen gerechte und konziliante Kirchenpolitik 
Die Hoffnung auf Verständigung geweckt und ihre Verwirklichung ermöglicht hat, kann 
mit dem Erfolge zufrieden sein, mag auch noch mancher andere Wunsch der Erfüllung 
harren. Das bieher Erreichte eröffnet frohe Aussichten auf weiteres. Auch sonst war 
es ein erfreuliches Symptom für den nüchternen, unbefangenen Sinn der katholischen 
Presse und wird ein Ruhmesblatt in der Geschichte der Kölnischen Volkszeitung bleiben, 
daß sie ebenso dem schmählichen Baughan- und Tazilschwindel entgegentrat, zu 
einer Zeit, da andere noch in der Freude über die Enthüllung freimaurerischer Ver- 
worfenheit schwelgten, wie sie in der Dreyfusaffäre, entgegen den Deklamationen 
französischer „katholischer“ Blätter, den Standpunkt des Rechts vertrat. 
Wissenschaft. III. Ein Gradmesser für den inneren Gehalt eines Volkes oder 
eines Volksteiles und bestimmend für das Maß seines Einflusses 
auf die Zeitgenossen ist der Stand der Wissenschaft. Von dieser Wahrheit war man 
auf katholischer Seite nicht immer überzeugt. Zumal in und nach dem Kulturkampf 
glaubten viele die geistige Macht des Katholizismus in Deutschland garantiert durch die 
politische des Zentrums; über die Wissenschaft und ihre Vertreter dachte man nicht sehr 
hoch, wie denn ein Redner auf dem Katholikentag in Dortmund noch 1896 es für einen 
Fortschritt betrachtete, daß die „Gelehrten und Theologen“ (sol) auf diesen Versamm- 
lungen nicht mehr die Rolle spielten, wie in ihrer ersten Zeit. Auch heute noch er- 
freuen sich vorwiegend, wenn nicht ausschließlich, politische und soziale Fragen des 
Interesses weiterer katholischer Kreise; die Wissenschaft, die Beschäftigung mit geistigen 
Problemen, hält man zumeist für nicht viel mehr als eine Dekoration. Weiterblickende 
freilich waren und sind überzeugt, daß mit der politischen Macht noch nicht alles getan 
sei, daß vielmehr die Beteiligung am Geistesleben allein zu der Hoffnung berechtige, 
dem Katholizismus in Deutschland eine achtunggebietende Stellung zu erringen und 
zu bewahren. Im Zahre 1896 sprach ein heute als Staatsmann in leitender Stellung 
befindlicher katholischer Gelehrter die nicht mehr wegzuleugnende Tatsache offen aus, 
Inferiorität? daß die Katholiken Deutschlands in der Wissenschaft vonden 
Protestanten überflügelt worden seien. Zunächst konstatierte 
er, daß jene in dem Lehrkörper unserer Universitäten eine verhältnismäßig sehr geringe 
Vertretung haben. Aber das sei „nur ein Zug aus einem größeren Bilde“; „wir deutsche 
Katholiken“, wurde weiter ausgeführt, „haben uns ganz allgemein in höherer Bildung 
von den Protestanten überflügeln lassen“, wie durch die Schulstatistik unwiderleglich fest- 
gestellt sei. Auf 10 000 Einwohner treffen bei den Protestanten 55 Schüler höherer 
  
  
66“ 1043
	        
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