Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
IX. Buch. Die Universitäten. 13 
  
freudig begrüßten Schritt in der Richtung beginnender DOezentralisation. Wenn 
die Gründung von Frankfurt trotz des Opfersinnes seiner Bürgerschaft nicht überall 
und besonders nicht in allen akademischen Kreisen Beifall gefunden hat, so liegen die 
Gründe vornehmlich in der Rücksicht auf die in unmittelbarer Nähe befindlichen alten 
Universitätsstädte Gießen und Marburg, in der Besorgnis, daß die Berufung der Pro- 
fessoren nicht ganz allein nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten erfolgen und ihre Un- 
abhängigkeit nicht im gleichen Maße wie bei den staatlichen Hochschulen gesichert sein 
könnte, ferner in dem Widerspruch, den das Weglassen jeder theologischen Fakultät 
gegen die bistorische Entwicklung und bewährte innere Struktur der ältern Schwestern 
erhebt. Es ist nicht gelungen, diese Bedenken alle zu zerstreuen. 
Wie man aber auch urteile, der Wunsch der Begründung von Frankfurt ist 
ein Zeichen geistiger Regsamkeit und eine Außerung bürgerlicher Kraft, eine Folge der 
Wohlfahrt unseres Baterlandes unter dem Schutze des hohenzollerischen Aars. Schwer- 
lich weiß die Geschichte von einer anderen Zeit zu berichten, wo die Wissenschaft so in 
Blüte stand, wo liebevolle Fürsorge alle Zweige des geistigen Lebens von Universität 
bis Volksschule gleich liebevoll umfaßte und dank den Machtmitteln des Staates und 
dank dem Friedensreich umfassen konnte, wo Staat und Stadt alle Hände so eifrig sich 
regen sah, um das Bild der Pallas Athene zu bekränzen. 
Ausblick. Freilich haben, und das darf nicht unausgesprochen bleiben, weder die 
— einzelnen Wissenschaften mit ihrer fortschreitenden Spezialisierung und 
Isolierung, noch hat die Technik trotz des unendlichen Fortschrittes es vermocht, dem so 
völlig umgestalteten Weltbild eine innere Einheit zu geben. Die Fülle ausgezeichneter Köpfe 
und der Blüte fast aller Wissenschaften fehlt der philosophische und literarische Name, in dem 
die deutsche Nation den Exponenten ihres Geistes erblickt, der ihre Seele in der Tiefe be- 
leuchtet und sie freudig bewegt, der der Schar jener großen Geister sich würdig anreiht, die 
wie ein Chor von Propheten und Sehern 1813 die Wiege der deutschen Freiheit umstand. 
Das Leben mit seinem gewaltig antreibenden Schwungrad, mit seinem winkendem gol- 
denen Lohn ruft andere Kräfte im Volke wach. Mit dem zunehmenden Reichtum steigt 
Wohlleben und Genußsucht empor, und deren Wagen folgen nicht die ernsten Musen; 
die Unrast des Lebens verhindert die Vertiefung. Wir haben an inneren Werten verloren. 
Es besteht die Gefahr, daß die Nation, mehr und mehr dem Praktischen zugewendet 
mit dem Idealismus den zeitgemäßeren Utilitarismus eintauscht und das innerste Wesen 
der Universitäten weniger versteht. Deutschland wurde ein Land der fruchtbaren Tat, 
weil es ein Land des Gedankens war. Ee ist zu hoffen, daß die Nation sich auf sich selbst 
besinne und deutlich empfinde, daß äußere Wohlfahrt und praktisches, noch so hohes 
Können nur ein Kranz, ein Schmuck, aber nicht ihre Seele sind. Die sittlichen Kräfte 
stehen hoch über allem Können und Wissen; sie haben 1815 über den größten Meister 
der Kriegskunst und den Zwingherrn deutscher Freiheit den Sieg davongetragen. Der 
mächtige Schaffenswille des deutschen Volkes, dem eine starke Hand neue Wege in die 
Weite und in die Ferne ebnet, bezeugt aber seine Zugend und läßt hoffen, daß sich zu 
der Tat wieder die Tiefe philosophischen und idealen Denkens geselle. 
  
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