182 Phpsikalische Chemie. X. Buch.
nähern sich unter Umständen den molekularen Dimensionen der Stoffe, wie sie nach der
kinetischen Theorie in den typischen klaren Lösungen anzunehmen sind. Die kolloidalen
Lösungen bilden also das Zwischenglied zwischen den tppischen Lösungen und den ge-
wöhnlichen Aufschlemmungen und verbinden so die letzteren mit den ersteren, durch alle
möglichen Ubergangsformen hindurch, zu einer stetigen Reihe. Die diepersen Stoff-
teilchen der kolloidalen Lösungen zeigen alle das Brownsche Phänomen der spontanen
Eigenbewegung und die eingehenden experimentellen und theoretischen Untersuchungen
dieser Bewegung, die nach den verschiedensten Nichtungen in ausgezeichneter Weise
hauptsächlich durch Perrin (1908—1910), Svedberg (1909—1910), Seddig (1909)
ausgeführt wurden, haben an der im vorhergehenden Abschnitt erwähnten experimen-
tellen Begründung der Abtomistik wesentlichen Anteil.
Oer metallische Zustand des Stoffes hat nach vielfacher Richtung hin eingehende
Bearbeitung gefunden. Bestimmungen des Molekulargewichts nach van't Hoffs Lehren
an Lösungen von Metallen in Metallen durch Romsay, Tammann, Heypcock und
Neville (1889) unternommen, ergaben das Molekulargewicht der meisten Metalle
als dem Atomgewicht gleich, diese Metalle also als „einatomige“. — Sehr ausgedehnte,
ergebnisreiche, über eine Reihe von Fahren sich erstreckende Arbeiten über Metall-
legierungen und die Art der dabei entstehenden Verbindungen verdanken wir Tam-
mann (1908). Er bediente sich zur Aufdeckung der hierbei auftretenden Vorgänge in
der Hauptsache der „thermischen Analyse“, d. h. der Verfolgung der Abkühlungskurven,
unter theoretischer Diskussion der Ergebnisse auf Grund der Lehre vom beterogenen
EGleichgewicht, die selber während der Berichtsperiode umfassend sich entwickelt hat.
Das umfangreiche Beobachtungsmaterial führte zur Ausdehnung der Mitscherlich-
schen Lehre von der Isomorphie auf Elemente und zu bedeutsamen Schlußfolgerungen
über Isomorphismus und Verbindungsfähigkeit von Metallen. Liebenow gab (1897)
eine einleuchtende Theorie der elektrischen Leitfähigkeit von Metallegierungen.
Feste Gemische. Uber die Mischbarkeit fester Stoffe sind viele Untersuchungen
angestellt worden. Die Fähigkeit zweier kristallisierter iso-
morpher Stoffe, miteinander Mischkristalle zu bilden, war der Gegenstand ausgedehnter
Arbeiten von Retgers (1889—1892). Für feste Gemische anderer Art hat van't Hoff
(1890) die Bezeichnung „feste Lösungen“ in die Wissenschaft eingeführt. Gemische
dieser Art sind z. B. die Metallegierungen, die bereits im vorigen Abschnitt berührt
wurden, aber die Bildung fester Lösungen ist nicht etwa auf die Metalle beschränkt.
Den festen Lösungen geht die gegenseitige Vertretung der Kristallmolekeln ab, wie sie
bei isomorphen Mischungen statthat, sie sind wahre homogene Lösungen, analog den
tppischen flüssigen Lösungen, nur festen Aggregatzustandes. Daher lassen sich in ihnen
gerade wie in flüssigen Lösungen Diffusionserscheinungen beobachten, die den isomorphen
Mischkristallen abgehen. Auf Grund dieser Analogien konnte van't Hoff die Gesetze des
osmotischen Druckes der Lösungen auch auf diese festen Gebilde übertragen, aber das
Beobachtungsmaterial ist noch wenig ausgedehnt, und die Versuche, aus festen Lösungen
Molekulargrößen fester Körper zu erschließen, begegnen noch Bedenken.
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