Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
X. Buch. Physilalische Chemie. 183 
  
Flassige Stoffe. Es hat sich ergeben, daß die Molekulargröße mancher Stoffe 
im flüssigen Zustand größer ist als im Dampfzustande. Man 
bat dies aus dem Umstande schließen können, daß solche Flüssigkeiten — meist sind es 
Körper, die Hydrorplgruppen in der Molekel führen — Abweichungen von sonst all- 
gemein geltenden Regelmäßigkeiten zeigen, so in erster Linie von der Eötvösschen 
Kegel (1886) über die Konstanz des Temperaturkoeffizienten der molekularen Ober- 
flächenenergie (Ramsay und Shields 1893), weiter von den allgemeinen Siedepunkts- 
regelmäßigkeiten (Vernon 1891), von der Trouton-Nernstschen Regel über die Kon- 
stanz des Quotienten aus molekularer Verdampfungswärme und absoluter Siedetempera-- 
tur, endlich auch von dem Ourchschnittswert des nach den Angaben von 8. Traube 
zu berechnenden „Kovolums“ der Molekularvolumina. Während die Erscheinung der 
Assoziation danach mit Sicherheit festgestellt ist, hat sich der Grad der Assoziation, d. h. 
die Zahl der Molekeln, die sich in einem bestimmten Körper zu einer einzigen Molekel 
zusammengeschlossen haben, bis jetzt nur in gewisser Annäherung ermitteln lassen. 
Eine sehr wichtige Eigenschaft der „normalen“, d. h. der im flüssigen Zustand nicht 
assoziierten Stoffe hat Tammann gefunden (1911). Beim Kristallisieren, also Uber- 
gehen in den festen Zustand, ändern die „normalen“ Substanzen ihr Molekulargewicht 
nicht. Damit Hat das alte Problem der Bestimmung der Molekulargröße der Körper 
im festen anisotropen Zustande eine teilweise Lösung erfahren: das Molekulargewicht 
einer Substanz im kristallisierten Zustande ist das gleiche wie im Dampfe, falls die Sub- 
stanz im flüssigen Zustande sich der Eötvösschen Regel fügt. 
  
Phosikalische cigenschaften Die Erforschung der Beziehungen zwischen phpsi- 
kalischen Eigenschaften und molekularem Bau der 
Körper bildet ein weites, besonders früher 
mit einer gewissen Vorliebe behandeltes Gebiet der phpsikalischen Themie. Auch in die 
Berichtsperiode fallen mannigfache dahin gerichtete Untersuchungen, auf die aber im 
einzelnen nicht eingegangen werden kann. Im allgemeinen haben die Ergebnisse die 
frühere Erfahrung bestätigt bzw. mit besonderer Deutlichkeit hervortreten lassen, daß 
Additivitãt der Eigenschaften, auf die man zunächst stets das Augenmerk zu richten pflegt, 
überhaupt nicht besteht, höchstens in allererster Annäherung. Alle phpsikalischen Eigen- 
schaften hängen nicht nur additiv mit Zahl und Art der Atome zusammen, sondern eben- 
sosehr mit der Konstitution der Molekel, sie sind konstitutiv. Und in dem Maße wie unsere 
Kenntnis der feineren Konftitutionsverschiedenheiten wächst, steigt auch die Schwierig- 
keit, deren Einflüsse auf die phpsikalischen Eigenschaften messend festzulegen. 
  
und Körperkonstitution. 
  
Verwandtschaftslehre. Die Fortschritte auf dem Gebiete der Verwandtschafts- 
lehre sind so zahlreich und vielseitig, daß eine einiger- 
maßen befriedigende Darstellung an dieser Stelle unmöglich ist. Nur einige Andeutungen 
mögen bhier Platz finden. 
Besonders eingehend wurden, vorwiegend in neuester Zeit, die Gleichgewichts- 
verhältnisse der Gasreaktionen studiert. Zahlreiche vorbildliche Arbeiten von 
  
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