Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
198 Zoologie. X. Buch. 
  
levana) durch Einwirkung niederer Temperatur auf ihr Puppenstadium in eine anders 
gefärbte Variation (Vanessa prorsa) umwandeln kann, was in diesem Fall allerdings 
einem Rückschlag auf die Stammform entsprechen dürfte. Abnliche Versuche, durch 
Einwirken veränderter Lebensbedingungen (Erniedern oder Erhöhen der Temperatur) 
die Ausbildung der Art zu beeinflussen, sind auch an anderen Tagschmetterlingen, 
Spinnern und Spannern, mit Erfolg vorgenommen worden und führten sogar zur Verer- 
bung der auf diese Weise hervorgerufenen Eigenschaften (Standfuß, A. Fischer, 
C. Schröder). Haß die Tiere und besonders die Insekten derartigen Beeinflussungen 
zugänglich sind, zeigt das (nach den Versuchen von W. Tower) recht bekannt gewordene 
Verhalten des Koloradokäfers, dessen Puppen in früherem Entwicklungszustand ebenfalls 
durch Temperaturerhöhung und Erniedrigung, sowie durch Regulieren des Feuchtig- 
keitsgehaltes der umgebenden Luft zum Andern der Färbung des Käfers veranlaßt 
werden können. 
In dieses Gebiet gehören auch die an Daphniden angestellten Versuche Wolterecks, 
bei denen diese kleinen sogenannten „Wasserflöhe“ durch das Ubertragen in andere Um- 
gebung, also durch Einwirken der äußeren Lebensbedingungen nicht nur ihre Gestalt 
in gewissen Merkmalen änderten, sondern auch diese veränderten Merkmale beibehielten, 
wenn sie in die frühere Umgebung zurückgebracht wurden. 
Zn ähnlicher und besonders sinnreicher Weise konnte man bei Amphibien gewisse 
Anderungen der Arteigentümlichkeiten hervorrufen, wie dies besonders die neueren Ver- 
suche von P. Kammerer gelehrt haben. Der im wasserarmen Hochgebirge zur BVivi- 
parität genötigte schwarze Alpensalamander, Salamandra atra, kann durch geeignete Be- 
handlung in feuchter Atmosphäre veranlaßt werden, anstatt der beiden ganz ausgebil- 
deten Zungen eine größere Zahl gefleckter mit Kiemen und Ruderschwanz versehener 
Larven hervorzubringen. Umgekehrt wurde der gewöhnlich in feuchter Umgebung lebende 
gefleckte Feuersalamander (Salamandra maculosa) durch Wasserentziehung dazu gebracht, 
anstatt der großen Zahl kiementragender Larven nur wenige, bei längerem Gewöhnen 
nur bis zwei Larven hervorzubringen, die als ganz ausgebildete (Vollmolche) geboren 
werden. Die beiden Molcharten werden also auf experimentellem Wege einander in 
ihren Eigenschaften näher gebracht; es wird eine Anderung gewisser Artmerkmale er- 
zielt, die in den folgenden Generationen einer Steigerung fähig, also vererblich ist und 
erhalten bleibt. 
Abuliche Ergebnisse wurden durch Kammerers Versuche an der Geburtshelfer- 
kröte erzielt, die durch Einwirkung höherer Temperatur in der Art ihrer Eiablage wesent- 
lich beeinflußt werden konnte, wie dies auch bei der Bergeidechse der Fall war, welche 
durch Anwendung erhöhter Temperatur zum Eierlegen genötigt werden kann, während 
sie für gewöhnlich lebendige Zunge hervorbringt. 
Damit gelangten wir schon längst in das Gebiet der Ver- 
erbungslehre, die zurzeit wie in den vergangenen Jahr- 
zehnten eifrigst gepflegt wird und nach verschiedenen Richtungen zu sehr bemerkenswerten 
Resultaten führte. Diesen Ergebnissen innerhalb des hier zur Verfügung stehenden 
Vererbungslehre. 
  
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