Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
X. Buch. Zoologie. 199 
  
Raumes auch nur einigermaßen gerecht zu werden, ist bei der Eigenart des Stoffes, 
sowie bei der Fülle der zu behandelnden Tatsachen und den vielseitigen Deutungen, 
welche sie erfahren, ganz unmöglich; so kann nur kurz versucht werden, das Wesentliche 
anzudeuten. 
Zellenlehre. Die Grundlage der modernen Vererbungslehre bildet die im Lauf 
der letzt vergangenen Jahrzehnte außerordentlich geförderte Kenntnis 
des feinen Baus der Zelle und der sich in ihr abspielenden Vorgänge. Durch eine weit- 
gehende Verbesserung der optischen Hilfsmittel wurde es ermöglicht, die Zellstrukturen 
während der verschiedenen Phasen des Zellenlebens bis ins kleinste hinein festzustellen, wobei 
sich besonders der Verlauf der Zellteilung als ein sehr komplizierter und bis in die feinsten 
Details geregelter Vorgang erwies. Die genaue Kenntnis der Zellstrukturen und der sich in 
den verschiedenen Phasen vollziehenden Veränderungen ist aber für die Beurteilung der 
Lebensvorgänge in der Zelle sehr bedeutungsvoll, schon deshalb, weil die Zellen die Elemen- 
tarbestandteile der Organiemen darstellen, an welche deren Lebensvorgänge selbst in letzter 
Instanz gebunden sind. Die Zellenlehre (Zotologie) ist daher ein außerordentlich 
wichtiges Gebiet und begreiflicherweise hat sich, wie schon vorher, so auch in dem bier zu 
behandelnden Zeitraum eine sehr große Zahl von Forschern damit beschäftigt, es sei 
mur an die Namen von Leydig, Bütschli, O. und R. Hertwig, Rabl, Boveri 
erinnert, denen sich viele andere neuere Forscher anschließen. #ußer den Schriften 
Boveris und der übrigen genannten Forscher bieten die zusammenfassenden Werke von 
O. Hertwig (Allgemeine Biologie), sowie M. Heidenhain und Gurwitsch (Zellenlehre) 
gute Gelegenheit, sich über den derzeitigen Stand der Zellenforschung zu unterrichten. 
  
Eireifung, Befruchtung Auf den von der Zellenforschung bis dahin erzielten 
Ergebnissen fußend, wandte man sich dem Studium der- 
jenigen Vorgänge zu, welche sich vor, während und nach 
dem Befruchtungsvorgangeam Eiabspielen. Hier war esbesondersdie Ei-und Samenreifung, 
welche das Interesse der Forscher erregten und nebst den Befruchtungserscheinungen wäh- 
rend der letzten 20—30 Jahre eine enorme Literatur hervorriefen. Die Zahl der Objekte, 
für welche man diese merkwürdigen Vorgänge nachwies, vergrößerte sich immer mehr 
und es stellte sich dabei heraus, daß sie sich auch bei den einzelnen Tieren zwar in ver- 
schiedener Weise, aber stets in großer Regelmäßigkeit und nach bestimmten Gesetzen 
vollziehen. Wenn man diese Vorgänge immer wieder studierte und sozusagen bis zu den 
letzten Konsequenzen verfolgte, so geschah dies weniger deshalb, um sie selbst kennen zu 
lernen, sondern wegen ihrer nahen Beziehung zur Vererbungslehre. Wenn die Eigen- 
schaften von den Eltern auf die Nachkommen vererbt werden, so kann das eben nur durch 
Vermittlung der Keimzellen geschehen. Diese sind aber an Umfang und Masse sehr ver- 
schieden; das Ei ist gewöhnlich außerordentlich viel größer als das Spermatozoon. Solag es 
nahe, die vererblichen Eigenschaften nur in einem Teil der beiden sich bei der Befruchtung ver- 
einigenden Keimzellen und zwar in ihren Kernen zu suchen. Oiese zeigen sich beim Voll- 
zug des Befruchtungsvorganges ungefähr von gleicher Größe und das gilt noch mehr für 
  
und Vererbung. 
  
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