202 Zoologie. X. Buch.
fällen. ODies gilt in ähnlicher Weise und aus denselben Gründen auch für die sehr be-
merkenswerten Versuche, bei denen es sich um eine erst in spätere Entwicklungs- oder
Lebenszeit fallende Beeinflussung der Geschlechtsdifferenzierung handelt. Bei diesen
Versuchen dürfte vor allen Dingen die Art ihrer Ausführung interessieren, die zum Teil
in einer Übertragung der Keimdrüsen von dem einen auf das andere Geschlechtstier, d. h.
etwa vom Weibchen auf das Männchen bestand und umgekehrt. Derartige Experimente
sind mit sehr verschiedenartigen Tieren, z. B. Insekten (besonders Schmetterlingsraupen),
Amphibien, Vögeln und Säugetieren ausgeführt worden. Bei den erstgenannten Tieren
hatten sie außer dem von vornherein durchaus nicht sicheren Ergebnis völligen Gelingens
die bemerkenswerte Erscheinung zur Folge, daß die in den Körper des anderen Geschlechts-
tiers übertragenen Keimdrüsenanlagen sich dort in einer Weise weiter entwickelten, als
wenn sie sich unter normalen Verhältnissen, d. h. im Körper des zugehörigen Geschlechts-
tiers befänden, wie sich dies besonders aus den höchst erfolgreichen Versuchen Meisen-
heimers ergab. Machte sich bei diesen Versuchen kein Einfluß der im Körper des be-
treffenden Individuums enthaltenen andersartigen Keimdrüsen auf die äußeren Ge-
schlechtamerkmale und den ganzen Habitus des betreffenden Tiers geltend, so war dies
bingegen bei den an Amphibien, Bögeln und Säugetieren ausgeführten Experimenten
der Fall und es ergab sich hier die bemerkenswerte Tatsache einer weitgehenden Beein-
flussung der sekundären Geschlechtscharaktere infolge der Keimdrüsenübertragung. Dies
zeigte sich in sehr überzeugender Weise bei den von Steinach an kastrierten jungen Meer-
schweinchen und Nattenmännchen ausgeführten Operationen, indem bei ihnen nach Ein-
pflanzung von Ovarien die weiblichen Merkmale in der Beschaffenheit des ganzen Kör-
pers, des Haarkleides, des Skeletts sogar und besonders der Milchdrüsen hervortraten,
welche letzteren wie bei normalen weiblichen Tieren eine strotzende Fülle erkennen
ließen. Es war also durch diese Versuche eine weitgehende Beeinflussung der Geschlechts-
charaktere wie des ganzen Körpers in der entgegengesetzten NRichtung erzielt worden.
Zur Erklärung dieser letzteren, sich erst in einem schon sehr
weit fortgeschrittenen Stadium vollziehenden Veränderungen
des Körpers hat man, da der Einfluß des Nervensystems für das Verständnis dieser
Erscheinungen nicht binreicht, einen Faktor herangezogen, der sich bei den Unter-
suchungen auf anderen Gebieten als recht fruchtbar erwies, nämlich eine Einfluß-
nahme der übertragenen Organe auf den Stoffwechsel des betreffenden Tieres, die
man sich durch das Stattfinden einer von den Keimdrüsen ausgehenden „inneren
Sekretion“ erklärt. Es möchten von ihnen Stoffe abgegeben werden, welche in das
Blut und die sonstigen Körpersäfte gelangt imstande wären, jene oben gekennzeichneten
Anderungen in der Entwicklungerichtung des Organismus herbeizuführen. Eine Reihe
von Tatsachen, welche über das Verhalten der Keimdrüsen selbst, wie anderer drüsiger
Organe, besonders der Schilddrüse, Thymus, Debennieren usw. bekannt geworden sind,
berechtigen zu der Annahme einer weitgehenden Beeinflussung des Gesamtorganismus
durch die von den betreffenden Organen ausgehende innere Sekretion.
Innere Sekretion.
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