Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
X. Buch. Soologie. 205 
  
etwa in der Weise vorgestellt, daß für jede von ihnen eine „Erbeinheit“ (Determinante) 
im Keimplasma vorhanden sei, und daß diese entsprechend den vielen verschiedenen 
Eigenschaften des Körpers mit dem (vielleicht dieses Keimplasma repräsentierenden) 
Chromatin der Keimzellen bei der fortschreitenden Entwicklung auf die einzelnen Körper- 
regionen verteilt würden. Deren weitere Ausbildung und diejenige ihrer Teile würde 
also durch die in ihren Anlagen niedergelegten Determinanten bestimmt. Diesen An- 
schauungen entsprechend hat man den Körper sozusagen als ein Mosaik zahlreicher An- 
lagen und Anlagekompleze betrachtet. Die Anlagen zeigen bereits in den frühesten 
Entwicklungszuständen eine bestimmte, zu der späteren Verteilung und Beziehung 
stehende Orientierung. 
Wenn sich dies so verhält, dann müßte 
es vielleicht möglich sein, auf experimen- 
tellem Wege einzelne Anlagekompleze 
auszuschalten und dadurch die Ausbildung derjenigen Körperteile zu verhindern, die 
aus ihnen hervorgehen sollten. Dies ist nun tatsächlich und zwar bei recht verschieden- 
artigen Tieren gelungen. Durch Zerstörung einer der beiden ersten Furchungskugeln 
erzielte man z. B. beim Froschei halbseitig ausgebildete (sogenannte Hemi-) Embrvo-- 
nen aus der unberührt gebliebenen Furchungskugel, die sich in ungefähr normaler Weise 
entwickelte. Da die Anlagekompleze der anderen Hälfte zerstört waren, gelangte diese 
nicht zur Ausbildung. Allerdings kann durch die von Rouzx als Postgeneration bezeich- 
nete Erscheinung von der zur Entwicklung gelangten Hälfte aus das Fehlende nach- 
träglich ergänzt werden. 
Ausschaltung von Anlagekomplezen, 
Teilembryonen. 
  
  
Das am Verhalten des Froscheies erläuterte 
Ergebnis beanspruchte auch insofern allgemei- 
neres Interesse, als es sozusagen den alten Gegensatz zwischen den beiden Entwicklungs- 
theorien des vorvergangenen Zahrhunderts, der Präformations- und Epigenesistheorie 
wieder aufleben ließ. Nach jener sollten die einzelnen Teile des späteren Embryos 
und ausgebildeten Tieres bereits vorgebildet vorhanden sein, um sich später nur zu ent- 
entfalten (Evolution), während nach der Epigenesistheorie eine wirkliche Neubildung 
vorher nicht in der Anlage vorhanden gewesener Teile stattfände. Es ist von großem In- 
teresse, wie die mit den Eiern verschiedener Tiere vorgenommenen Versuche nach der einen 
wie nach der anderen Richtung eine Entscheidung zu bringen scheinen oder doch in diesem 
oder jenem Sinne gedeutet werden können. So wie es vorher vom Froschei angegeben 
wurde, verhalten sich nämlich nicht die Eier aller Tiere, ja selbst beim Froschei kann bei 
geeigneter Behandlung aus jeder der beiden ersten Furchungskugeln nicht wie vorher ein 
halber, sondern ein ganzer, vollständiger Embryo hervorgerufen werden. Ahnliches gilt 
für die Eier von Molchen, bei denen die beiden ersten Furchungskugeln durch Zerschnüren 
voneinander getrennt wurden und jede einen vollständigen Embryo lieferte. Auch an 
den Eiern von Echinodermen, Medusen, Amphiozus und anderen Tieren ließen sich solche 
Versuche mit Erfolg ausführen. Nicht nur aus einer Furchungskugel des zweizelligen 
Präformation und Epigenesis. 
  
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