Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
X. Buch. Die Entwicklung der Chirurgie. 225 
  
Verlaufe der antiseptischen Ara als der weitaus gefährlichere Äbertragungsmodus. 
Kontaktinfektion findet statt durch die Bakterien, welche an dem chirurgischen Instrumente, 
an der Hand des Operateurs, an der Haut des Patienten haften. Durch die während 
des Eingriffes notwendigen Manipulationen werden sie in die Wunde verbracht und 
können hier, falls sie den für den Menschen schädlichen „pathogenen“ Arten angehören, 
entweder zu mehr oder weniger schwerer lokaler Wundentzündung und Wundeiterung 
oder auch zu rasch tödlicher septischer Allgemeininfektion führen. Mit einer geringen 
Anzahl nicht zu virulenter Keime vermag allerdings der Körper infolge seiner reichen 
Schutzkräfte erfolgreich den Kampf aufzunehmen, die Zahl und Virulenz der Bakterien 
jedoch, welche in vorantiseptischer Zeit bei einer Operation in die Wunde drangen, war, 
so groß, daß die natürlichen Schutzmittel des Organismus niemals ausreichten, um 
Wundfieber und Eiterung zu verhüten. 
Gegen diese durch Kontaktinfektion übertragenen Bakterien suchte man nun nach 
Listers Vorgang durch Spülung der Wunde mit antiseptischen Flüssigkeiten vorzugehen 
und erreichte dadurch in der Tat eine außerordentliche Verminderung der Wundinfek- 
tionen. Aber die Gifte, die schädigend auf die Bakterien wirkten, waren auch nicht gänz- 
lich harmlos für die Körpergewebe, und niemals gelang es selbst der gründlichsten Wund- 
irrigation, die zahlreichen Mikroorganismen unschädlich zu machen, welche bereits in 
die Gewebe eingedrungen waren. Hier liegen die Schwächen der antiseptischen Wundbe- 
handlung, und wenn auch ihre Resultate zunächst befriedigten und gegenüber denen der 
früheren Zeit, in der die lleinste Operation zum Tode an allgemeiner Blutvergiftung 
führen konnte, sogar glänzende waren, so wuchsen doch mit der ständigen Besserung der 
Erfolge die Ansprüche und ließen die bei antiseptischer Wundbehandlung noch immer 
nicht allzuseltenen Infektionen als schwerwiegende Nachteile erscheinen, die zu immer 
neuen Vervollkommnungen anregten. 
Gelang es nicht, die einmal in die Wunde eingedrungenen Bakterien auf 
gewaltsame Weise abzutöten, so blieb als einzige Lösung die an und für 
sich erstrebenswerte Forderung einer wirksamen Prophpylaze: es mußte verhindert 
werden, daß überhaupt Bakterien in die Wunde gelangen. DOiesem Zdeal gelten 
alle Bestrebungen der modernen Wundbehandlung, welche im Gegensatze zur antiseptischen 
als die aseptische bezeichnet wird. Welche Schwierigkeiten sich aber der Durchführung 
einer solchen Prophylaxe entgegenstellen, erhellt allein aus der einen, durch große Reihen 
von Einzeluntersuchungen erhärteten Tatsache, daß es kein einziges zuverlässiges Mittel 
gibt, die Haut völlig zu desinfizieren, gänzlich keimfrei zu machen. Somit mußte so- 
wohl die Hand des Operateurs wie die bei der Operation zu durchtrennende Haut des 
Patienten eine ständige, kaum auszuschaltende Infektionsquelle darstellen. 
Verhältnismäßig leicht war die Ausschaltung der 
Hand des Operateurs zu erreichen. Zuerst ver- 
suchte man es mit dem sogenannten „händelosen Operieren“": man vermied ängstlich 
jede direkte Berührung der Wunde mit der Hand, und benutzte zu allen Manipulationen 
sicher sterilisierbare Metallinstrumente. An diesem Prinzip halten wir auch heute noch 
Asepsis. 
Hand des Operateurs. 
  
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