X. Buch. Oie Entwicklung der Chirurgie. 227
Eine weitere Gefahr für die Wunde stellen Haar und Bart des Operateurs dar, von
denen Staubteilchen herabfallen können; vor allem aber müssen als Infektionsquelle
die feinsten Speicheltröpfchen gelten, welche nach den Untersuchungen Flügges bei je-
dem Sprechen auf größere Entfernung versprüht werden und selbst bei bester Mundpflege
zahllose Keime enthalten. Obwohl wir uns bei Operationen möglichsten Stillschweigens
befleißigen, ist doch ein völliges Vermeiden des Sprechens wegen der Anweisungen an
Assistenz und Personal nicht durchzuführen. Deshalb bedecken wir Mund und Nase,
Haupt- und Barthaar mit sterilen Hauben, Schleiern oder Masken und schalten auf diese
Weise die genannten Infektionsmöglichkeiten aus.
Der übrige Körper des Operateurs wird über einer Gummischürze mit einem in
strömendem Dampf sterilisierten Operationsanzug bekleidet, das Schuhwerk ist durch
Gummischuhe abgedeckt, welche vor dem Betreten des Operationssaales angezogen
werden und jedes Verschleppen von Schmutz in die Operationsräume verhindern. All
dieser moderne Bekleidungsapparat, der vom Operateur nur die Augen freiläßt, gehört
nicht zu den Annehmlichkeiten des chirurgischen Berufes, denn es ist nicht leicht, in Räu-
men, welche des zu operierenden entkleideten Patienten wegen überhitzt sein müssen und
mit Wasser-, Alkohol- und Atherdämpfen erfüllt sind, stundenlang eine anstrengende
und böchst verantwortungsvolle Tätigkeit auszuüben. Trotzdem wird heute kein Chirurg,
der weit größeren Sicherheit des Erfolges halber, diese vielleicht unbequemen Vorsichts-
maßregeln mehr missen wollen.
Mit gleicher Sorgfalt muß alles leblose
Sonstige aseptische Maßnahmen. Material behandelt werden, welches mit
der Wunde in Berührung kommt. Die Instrumente werden durch Kochen in Sodalösung,
die Verbandstoffe, welche zum Auftupfen des Blutes oder zum Ausfüllen und Bedecken
der Wunde dienen, durch Erhitzen in strömendem Dampf keimfrei gemacht. Das Unter-
bindungs- und Nahtmaterial wird entweder durch Kochen oder, wenn es sich um tierisches
Material atgut) handelt, mittels komplizierter chemischer Methoden sterilisiert. Kurz,
es geschieht zur Verhütung der Wundinfektion alles, was in menschlichen Kräften steht.
Trotzdem aber operieren wir, wie bakteriologische Untersuchungen einwandsfrei erwiesen
haben, auch heute noch nicht keimfrei; die Zahl der bei der Operation in die Wunde dringen-
den Bakterien ist zwar außerordentlich verringert, jedoch nicht auf Null reduziert worden,
und es würden trotz aller Vorsichtsmaßregeln noch zahlreiche Operationswunden ver-
eitern, wenn nicht der Körper mittels seiner natürlichen Schutzkräfte die wenigen ein-
gedrungenen Bakterien unschädlich machen würde. „Auf der keimvernichtenden Fähig-
keit des Blutes beruht der Bestand der Welt“ hat schon 1874 Moritz Traube geschrieben.
Die natürlichen Schutzkräfte des Organismus aber vermag der Operateur zu unter-
stützen, indem er durch eine vollendete Technik, durch rasches, sicheres und zielbewußtes Ope-
rieren die Wunden so gestaltet, daß den Bakterien die Ansiedelung nach Möglichkeit er-
schwert wird. Hier liegt die Ursache, warum trotz gleicher äußerer Kautelen nicht alle
Operateure die gleich guten Resultate erzielen, denn der geschilderte Apparat stellt nur
die notwendige Unterlage dar, auf der die ärztliche und technische Begabung des Chirurgen
sich voll entfalten kann.
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