Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
238 Die Entwicklung der Chirurgie. X. Buch. 
  
bewiesenen Zunahme der Krebskrankheit zusammenhängt; daß derartige Beobachtungen 
früher weniger häufig gemacht wurden, ist darauf zurückzuführen, daß man bei einer 
bösartigen Geschwulst im jugendlichen Alter ehedem das Karzinom einfach aueschloß, 
während die verbesserte mikroskopische Diagnostik der Geschwülste uns heute solche Zrr- 
tümer vermeiden läßt. 
Der große Fortschritt in der operativen Be- 
handlung des Krebses, den uns die letzten 
ODezennien gebrachthaben, liegt nun darin, daß wir 
durch eingehende anatomische Untersuchungen (Heidenhain, Küttner, Most, Rotter 
u. a) die Verbreitungswege der einzelnen Krebsformen genau kennen gelernt 
haben, und daß die verfeinerte Technik und verbesserte Asepsis uns in den Stand 
gesetzt hat, durch ausgiebige Operationen diesen Verbreitungswegen in viel voll- 
kommenerer Weise nachzugehen, als dies bisher möglich war. Nehmen wir als 
Beispiel den Brustkrebs. Nachdem man sich zuerst begnügt hatte, den Krebsknoten 
aus dem Brustdrüsenkörper zu entfernen, ging man dazu über, die ganze Bruft 
fortzunehmen. Da auch die Resultate dieser Operation nicht befriedigten, fügte man 
die prinzipielle Ausräumung der Achselhöhle hinzu, welche die für die Ausbreitung des 
Brustkrebses wichtigsten Lymphdrüsen enthält. Zetzt wurden die Resultate wesentlich 
besser, noch mehr aber haben die Dauerheilungen, ohne größere Gefährdung der Kranken, 
zugenommen, seit wir, entsprechend den erwähnten anatomischen Studien, die Lymph- 
drüsenausräumungen noch umfangreicher gestalten und auch die von wichtigen Lymph- 
bahnen durchsetzten Muskeln mit entfernen. Beim Zungen-, Lippen-, Gebärmutter-, 
Magenkrebs und vielen anderen Karzinomformen sind mit bestem Erfolge ebenfalls er- 
weiterte Operationen eingeführt worden, die in erster Linie das für die Verbreitung des 
Krebses so besonders wichtige Lymphgefäßsystem berücksichtigen. 
Wirkliche Erfolge werden aber auch bei dieser Art der operativen Behandlung nur 
möglich sein, wenn der Krebs in den Frühstadien zur Behandlung kommt, und gerade 
die Frühdiagnose ist n den letzten Zahrzehnten für viele Krebsformen durch Ausbildung 
der diagnostischen Methoden und Einführung ganz neuer, auf moderner biologischer 
Forschung beruhender Verfahren sehr erheblich gefördert worden. Wie maßgebend die 
Frühdiagnose für die Resultate der operativen Behandlung ist, geht aus folgenden Er- 
hebungen des Stuttgarter Chirurgen Steinthal über den Brustkrebs hervor. Von den 
Frauen, welche rechtzeitig zur Operation kamen, bei denen also der Krebs noch klein und auf 
die Brustdrüse selbst beschränkt war, wurden nicht weniger als 86 Prozent dauernd ge- 
heilt; bei den Kranken, welche den Krebs so lange hatten wachsen lassen, bis er die Haut 
der Brust und die Lymphdrüsen der Achselhöhle ergriffen hatte, betrug die Zahl der 
Dauerheilungen nur noch 32 Prozent; von den Frauen aber, die dem Krebs Zeit ge- 
lassen hatten, sich noch weiter zu verbreiten, wurde keine einzige mehr geheilt. 
Die zweite wichtige Errungenschaft auf dem Gebiete der Krebs- 
bekämpfung ist die Einführung der Radiotherapie in die Be- 
handlung der bösartigen Geschwülste. Schüchterne Anfänge gehen bis in das Jahr 1897 
Kenntnis der Verbreitungs- 
wege des Krebses. 
  
  
Radiotherapie. 
  
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