242 Die Entwicklung der Chirurgie. X. Buch.
Hals. Die Chirurgie des Halses, früher wegen der anatomischen Schwierigkeiten
ein Gebiet, auf dem der Operateur seine besondere Kunst zeigen konnte, ist
heute jeddem Chirurgen geläufig. Bei allen Eingriffen am Halse legen wir heute,
weil uns die damit verbundene größere technische Schwierigkeit nicht mehr schreckt,
großes Gewicht auf die möglichste Bermeidung der Entstellung durch die Narbe. Wir
gehen darin, wenn besondere Umstände es gebieten, nach dem Vorschlage von Oollinger
so weit, daß wir den Schnitt gar nicht. am Halse, sondern an der Haargrenze anbringen,
so daß die Narbe später überhaupt nicht sichtbar ist; den weiten Weg vom Haut-
schnitte zum Krankheitsherde bahnen wir uns dann unter Vermeidung der wichtigen
Gefäß- und Nervenstämme mit Hilfe künstlicher Beleuchtung.
Besonders hervorgehoben sei unter den Operationen am Halse wegen ihrer glänzenden
Resultate die durch Kocher, v. Bruns, Sozin, v. Mikulicz und andere geförderte
Operation des Kropfes. Während man früher den Kropf, die Struma, nur für ein ent-
stellendes Leiden gehalten hat, wissen wir heute, daß durch den Druck der vergrößerten
Schilddrüse auf die lebenswichtigen Organe des Halses und der oberen Brustöffnung sehr
schwere, ja tödliche Störungen hervorgerufen werden können. Da nur bestimmte, leichte
Formen des Kropfes auf eine interne Behandlung reagieren, gewisse Medikamente, wie
Jod oder Schilddrüsentabletten, auch nur mit größter Vorsicht angewandt werden dürfen,
so hat die operative Behandlung der Struma außerordentlich an Popularität gewonnen,
zumal die Sterblichkeit der früher für sehr gefährlich und schwierig gehaltenen Operation
bis auf Bruchteile von Prozenten heruntergegangen ist. Der große hier erzielte Fort-
schritt ist, abgesehen von der verfeinerten Asepsis, auf die besonders durch Kocher ver-
besserte Technik der Operation und auf die prinzipielle Anwendung der Lokalanästhesie
zurückzuführen.
Die Strumaoperation hat dadurch noch besondere Bedeutung gewonnen, daß
Moebius als Ursache der gefürchteten Basedowschen Krankheit eine übermäßige
Tätigkeit der Schilddrüse festgestellt hat. Die Uberlegung, daß dieser Schädlichkeit durch
eine operative Verkleinerung der Schilddrüse abgeholfen werden könnte, hat sich als
außerordentlich fruchtbar erwiesen. Wird die Operation frühzeitig ausgeführt, ehe das
gefährliche Leiden zu irreparablen Störungen namentlich des Herzens geführt hat, so
sind die Resultate so erfreulich, daß der Thirurg auf wenigen Gebieten so viel Dank erntet,
wie auf dem der Operation bei Basedowscher Krankheit.
Den entgegengesetzten Zustand, die verminderte Tätigkeit der Schilddrüse, die sich
in krassester Form als Kretinismus äußert, haben wir dagegen bisher nur mit sehr
geringem Erfolge zu bekämpfen vermocht. Es gelingt zwar durch Zufuhr von Schild-
drüsensubstanz, am besten vom Munde aus in Gestalt der bekannten Schilddrüsentab-
letten, eine gewisse Besserung der körperlichen und geistigen Funktionen bei kretinistischen
Kindern herbeizuführen, noch keines der bedauernswerten Geschöpfe aber ist durch diese
Behandlung zu einem brauchbaren Mitgliede der menschlichen Gesellschaft geworden.
AAuch die Versuche, auf operativem Wege die fehlende oder mangelhaft entwickelte Schild-
drüse zu ersetzen, sind als gescheitert anzusehen, wie bei Besprechung der Lehre von der
Transplantation noch näher erörtert werden soll.
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