Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
104 Allgemeine Naturwissenschaft; Botanik; Abstammungslehre. X. Buch. 
  
die einzelnen Bestandteile ordnungsmäßig miteinander in Verbindung setzt, doch wie 
alle Gleichnisse zeigt sich auch dies mur in beschränktem Maße zutreffend. 
Seele. Dazu kommen die psoychischen Erscheinungen, wie wir sie wenigstens an den 
höheren Organismen kennen und nachweisen können, und die wunderbare 
Vermählung des Körpers mit der Seele. Die Tierpsychologie hat in denletzten Hahrzehnten 
zahlreiche Forscher beschäftigt, und sie gehört sicher zu den bedeutsamsten Gebieten der Bio- 
logie, wenn wir auch über ihre Anfangsgründe noch wenig hinausgekommen sind. Daß die 
böchstorganisierten Tiere, der Affe, der Hund, das Pferd, ein Seelenleben besitzen, unter- 
liegt nicht dem geringsten Zweifel; eine schwer zu beantwortende Frage ist aber die, wie 
weit auf der Stufenleiter des Tierreichs die Seele nach abwärts reicht, ob bei den nieder- 
sten Tieren noch von einer Seele gesprochen werden kann. Such den Pflanzen hat man 
eine Seele zuschreiben wollen; allein Spuren eines Bewußtseins sind im Pflanzenreiche 
nicht nachzuweisen. Nur eine auf Analogieschlüsse sich stützende Dogmatik vermeint: so gut 
an den Zellen unfres eigenen Gehirns seelische Eigenschaften haften, ohne daß wir dies 
den Hirnzellen unter dem Mikroskop ansehen, ebensogut könnte jedem niedersten einzelligen 
Organismus und dann auch jeder Tier- und Pflanzenzelle eine Seele eignen. ODies ganze 
Gebiet ist noch in Nebel getaucht, den zukünftige Forscherarbeit hoffentlich erhellen wird. 
Eine andre bedeutsame Frage ist das Verhältnis der Tierseele zur Menschenseele. 
Die letztere kennen wir zweifellos viel genauer als die erstere. Da ist es kein Wunder, 
wenn große Meinungeverschiedenheiten in Bezug auf dies Verhältnis bestehen. Oie einen 
glauben, daß, wie in körperlicher, so auch in seelischer bzw. geistiger Hinsicht der Unterschied 
zwischen Mensch und Tier nur ein gradweiser, kein wesentlicher sei. Doch die Mehrzahl 
der Forscher, die sich gründlich und ohne Voreingenommenheit in neuerer Zeit mit diesen 
Fragen beschäftigt haben, ist anderer Meinung. Seine Seele, bzw. sein Geist ist es, der 
den Menschen nach ihrer Ansicht hoch über die Tierwelt emporhebt, so daß er kein lediglich 
zoologisches Problem bilden darf, wenn auch das menschliche Geistesleben eine biologische 
Erscheinung im weiteren Sinne ist. Dadurch aber, daß die Seele des Menschen sich dem 
Wesen und nicht bloß dem Grade nach von der Tierseele unterscheidet, ist der Gegensatz 
des Menschen zur Tierwelt bestimmt, trotz aller Ubereinstimmung im Bau des körper- 
lichen Gehäuses, das die Wohnung seines Geistes bildet. 
Daß der menschliche Geist an den Zellen des lebenden Gehirns haftet, wissen wir; 
darüber, wie er mit denselben verknüpft ist, berrscht tiefftes Dunkel. Run ist die Lehre 
heute wohl als überwunden anzusehen, daß die das Protoplasma der Hirnzellen zusam- 
mensetzenden chemischen Verbindungen es sind, welche vorstellen, denken und wollen. 
Von den Eigenschaften der Elektronen, der Atome und der Moleküle reicht keine Leiter 
zu den geistigen Funktionen hinauf. — 
In all diesen Erörterungen spiegelt sich ein Teil der Gedanken, welche die Forschungs- 
arbeit der zeitgenössischen Biologie in der Tiefe bewegen. 
Phpsik und Chemie allein vermögen nicht, uns den Schlüssel zur Erkenntnis des 
Lebens zu reichen. Dennoch haftet das Leben überall und in allen seinen Erscheinungen 
an mechanischen, d. h. an phypsikalisch-chemisch bestimmbaren Spystemen, an Körpern. 
  
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