250 Die Entwicklung der Chirurgie. X. Buch.
hin haben wir in der Heißluftbehandlung ein wertvolles Hilfsmittel gewonnen, um den
Brand zu begrenzen, und auch in den Gliedabsetzungen sind wir heute weit konservativer
als früher. Uber die originelle Wietingsche Operation, bei welcher mittels Gefäßnaht
das Blut aus der verkalkten Arterie in die unveränderte Vene übergeleitet wird, sind die
Akten noch nicht geschlossen.
Aur wenige Probleme haben im letzten Viertel-
jahrhundert die Chirurgie mehr beschäftigt, als
das der Transplantation, der freien Gewebsüberpflanzung. Sie bedeutet den Gipfel-
punkt der konservativen Chirurgie, welche die mutilierende Wundheilkunde abgelöst
bat. Regte sich bereits in den großen Chirurgen der vorantiseptischen Zeit der Wider--
wille gegen die operative Verstümmelung, gegen das testimonium paupertatis, welches
schon Langenbeck in jeder Amputation sah, so gewann mit der zunehmenden Sicher-
beit des chirurgischen Handelns das konservative Prinzip immer mehr die Oberhand und
ließ nicht nur die möglichste Vermeidung jeder operativen Beraubung, sondern vielmehr
den Wiederaufbau verstümmelter und den Ersatz verloren gegangener Teile des mensch-
lichen Körpers als das würdigste Ziel der modernen Chirurgie erscheinen.
Der Weg aber zu dieser Errungenschaft war ein weiter und mühseliger. Als ihre
Vorläufer haben die uralten plastischen Operationen zu gelten, welche den Wieder-
ersatz abgetrennter Teile des Gesichtes, besonders der Nase, anstrebten und weit über
die Leistungen der zeitgenössischen wundärztlichen Kunst hinausgingen. Heute haben
diese Operationen, welche das zu überpflanzende Material im Zusammenhang mit dem
Mutterboden belassen, unter dem Schutze der Asepsis einen hohen Grad der Vollendung
erreicht, und dennoch werden sie durch die Erfolge der freien Transplantation, bei welcher
das Verpflanzungsmaterial völlig aus dem Mutterboden ausgelöst wird, weit in den
Schatten gestellt.
Oie heutige Lehre von der freien Gewebsübertragung unterscheidet eine Auto-,
Homoio- und Hetero-Transplantation.
Unter Luto-Transplantation verstehen wir die UÜberpflanzung vom gleichen
Individuum. Beim Menschen wird also das Transplantationsmaterial vom Patienten
selbst entuommen.
Homoio-Transplantation bedeutet die Ubertragung aus einem anderen In-
dividuum der gleichen Art. Dem Menschen liefert also ein anderer Mensch den Pfröpfling.
Als Hetero-Transplantation schließlich bezeichnen wir die Uberpflanzung
aus einem Individuum einer anderen Art. Für den Menschen wird das zu übertragende
Gewebe vom Tier gewonnen.
Diesen drei Transplantationsverfahren stellt man als Alloplastik die Einpflanzung
körperfremden Materials, wie Metall, Zelluloid, Elfenbein, Horn, gegenüber; sie tritt
dann in ihr Recht, wenn anderweitiges Uberpflanzungsmaterial nicht erhältlich ist.
Oie größten Triumphe feiert die Transplantation bei den niederen Tieren und zwar
nicht nur bei Avertebraten, sondern auch bei tiefstehenden Wirbeltieren, vor allem Am-
phibien, wie die Untersuchungen von Born, Korschelt, Speemann, Braus u. a. gezeigt
Freie Gewebsüberpflanzung.
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