Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
X. Buch. Die Entwicklung der Chirurgie. 253 
  
der Schilddrüse. Die Uberpflanzung geschah unter die Haut, in Muskeln, Bauchhöhle, 
Knochemmark und Milz. Namentlich der letztere, von Papr gewählte Weg erschien wegen 
der günstigen Ernährungsbedingungen für das Implantat aussichtsvoll. Payr hat 
einem sechsjährigen kretinistischen Kinde ein Stück der mütterlichen Schilddrüse eingepflanzt 
und zunächst einen auffälligen Heilerfolg erzielt. Das Resultat hat sich jedoch nicht als 
dauerhaft erwiesen, und so muß angenommen werden, daß trotz der Entnahme aus der 
nächsten Blutsverwandten — ein Verfahren, welches bei derartigen Operationen stets 
den Vorzug verdient — das Implantat auch in der Milz nicht erhalten geblieben ist, son- 
dern das Schicksal aller Uberpflanzungen von Schilddrüsengewebe, wohin auch immer 
sie erfolgten, geteilt hat, das der Resorption. 
Von großem Interesse sind die UÜbertragungen der Keimdrüsen, Hoden und Eier- 
stöcke, von denen man namentlich die letzteren vielfach zu therapeutischen Zwecken trans- 
plantiert hat. Während die Verpflanzung von Hodensubstanz stets mit deren Resorption 
geendet hat, sind mit der Eierstocksübertragung wenigstens bei Tieren günstige Resul- 
tate erzielt wordem. Man hat die Entwicklung von Eiern aus verpflanzten Ovarien 
beobachtet. Guthrie will dies Resultat auch bei Austausch der Ovarien von schwarzen und 
weißen Hennen erreicht haben. Die Zungen sollen dann nicht einfach die Färbung der Henne 
gezeigt haben, von welcher der Eierstock stammte, sondern sie sollen in der Grundfärbung 
schwarze und weiße Flecken aufgewiesen haben, welche auf einen Einfluß der Adoptiv- 
mutter zurückzuführen waren. So verblüffend diese beim Tiere erzielten Resultate 
sind, beim Menschen hat die Ovarientransplantation Fiasko gemacht, denn die in der Li- 
teratur mitgeteilten Heilerfolge halten einer ernsten Kritik kaum stand. 
So hat die Organtransplantation, alles in allem genommen, ebensoviel Enttäu- 
schungen gebracht, wie Erwartungen an sie geknüpft worden sind. Nur bei der Auto- 
Transplantation entgeht in einigen besonderen Fällen der Pfröpfling dem üblichen 
Schicksale der Resorption, gerade hier aber ist die Auto-Transplantation ohne jede prak- 
tische Bedeutung. Ze höher organisiert ein Gewebe ist, desto weniger eignet es sich zur 
Verpflanzung, denn „das Transplantat braucht um so mehr eigene Wachstumskraft und 
Ernährungsfähigkeit, je weniger es von gleichartigem, körpereigenem Gewebe substitu- 
iert werden kann“ (Lezxer). Ob der jeder Homoioplastik, besonders aber der von Organen 
und Organteilen, hinderliche biochemische Unterschied der Zellen und des Serums durch 
Immunisierung überwunden werden kann, ist heute noch nicht entschieden. Einen Sinn 
würde, wie Lezxer zutreffend bemerkt, nur die Behandlung des Gebers mit dem Serum 
des Empfängers haben, denn der umgekehrte Weg würde die Bedingungen für die Trans- 
plantation eines Organs nur verschlechtern. 
Noch ein weiteres Moment ist der Verpflanzung von Organen und Organteilen un- 
günstig, das ist ihre funktionelle Abhängigkeit vom Nervensystem. Ze mehr 
die Funktion eines Gewebes nervösen Einflüssen unterliegt, desto ungeeigneter ist es für 
die freie Transplantation, denn der funktionelle Reiz ist nach Rouxs vielfach bestätigter 
Feststellung für die Einheilung und Erhaltung des Transplantates von größter Bedeu- 
tung. Daher mißlingt auch die freie Verpflanzung von Muskel- und Nerven- 
gewebe ohne Ausnahme (Landoi#), und gerade deren Mißerfolge machen es ohne wei- 
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