Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
264 Die soziale Medizin und soziale Hygiene. X. Buch. 
  
Berufes, sowie außerhalb desselben sich der Achtung würdig zu zeigen, die sein Beruf 
erfordert. Ein Arzt, welcher die ihm obliegenden Pflichten verletzt, hat die ehrengericht- 
liche Bestrafung verwirkt. 
Als weiteren Grundsatz stellt das Gesetz mit Recht auf, daß politische, religiöse und 
wissenschaftliche Ansichten oder Bestrebungen eines Arztes als solche niemals den Gegen- 
stand eines ehrengerichtlichen Verfahrens bilden können. Oie Gesetzgebung hat es den 
Entscheidungen der ärztlichen Ehrengerichte und der Appellinstanz, dem Ehrengerichtshof, 
üÜberlassen, die Normen für das ärztliche Verhalten innerhalb und außerhalb des Berufes 
kestzustellen. Die wichtigste, von beiden Gerichten stets betonte Pflicht des Arztes, ist 
die ärztliche Hilfeleistung in Fällen dringender Lebensgefahr, mag diese durch eine plötz- 
liche schwere Erkrankung, oder durch die plötzliche BVerschlimmerung einer bereits beste- 
henden Krankheit herbeigeführt sein, nicht zu versagen. Allerdings kann der Arzt nach 
geleisteter erstmaliger Hilfe eine Weiterbehandlung ablehnen, er muß dieses aber sofort 
bei dem ersten Besuch erklären, falls er sich vor unliebsamen Folgen schützen will. Mit 
diesen ehrengerichtlichen Entscheidungen ist die frühere im alten preußischen Strafrecht 
(§s 200) festgelegte ärztliche Pflicht zur Hilfeleistung (auch ohne Unglücksfälle und ge- 
meine Gefahr) wieder rechtskräftig geworden. 
Weiterhin darf ein Arzt einen seiner Obhut anvertrauten Kranken nicht im Stiche 
lassen, will er sich nicht einer gewissenlosen Handlung schuldig machen. Er muß seinen 
Beruf auch unter Hintansetzung der eigenen Person ausüben, was übrigens bei jeder an- 
steckenden Erkrankung seitens des Arztes geschieht. 
Auch bezuũglich der ärztlichen Untersuchungen und Begutachtungen sind ehrengericht- 
liche Entscheidungen ergangen, welche die sorgfältige Untersuchung und die Begutachtung 
in wissenschaftlich schlüssiger Weise für unerlässig erklären. Sodann hat das standes- 
würdige Verhalten im Verkehr der #rzte untereinander und mit Patienten durch Ent- 
scheidung in einzelnen Fällen eine Erläuterung erfahren. 
Ourch diese Gesetzgebung sind manche Einwände gegen die ärztlichen Bestrebungen 
der neueren Zeit hinfällig. Wir dürfen hoffen, daß der Zusammenschluß der Arzte, Hand in 
Hand mit der Gesetzgebung, welche das ärztliche Berufsleben betrifft, zu einer Hebung der 
ärztlichen Tätigkeit und zu einer Einengung unerfreulicher Zeiterscheinungen führen wird. 
Allerdings sind die Anforderungen andie ärzt- 
lichen Leistungen wesentlich gestiegen. Die Fort- 
schritte auf dem Gebiet der Erkennung der Krank- 
heiten sind ebenso wie diejenigen der Behandlung in den letzten Zahrzehnten außerordentlich 
große gewesen. Ich erinnere nur an die mikroskopische und chemische Untersuchung des. 
Blutes, des Urins, an die Bedeutung der elektrischen Untersuchung, der Röntgenunter- 
suchung, der Nadium-, der Mesothorium-Behandlung. 
Alle diese Methoden sind auch dem Aichtmediziner bekannt, und es ist naturgemäß, 
daß jeder Kranke, ob hoch oder niedrig, mit allen Hilfsmitteln untersucht und behandelt 
sein will. Alle diese Methoden stellen aber große Ansprüche an den Arzt, Reisen zu Kon- 
gressen, Teilnahme an ärztlichen Fortbildungskursen und die Anschaffung viel- 
Gesteigerte Anforderungen 
an die Leistungen. 
  
  
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