Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
278 Die soziale Medizin und soziale Hygiene. X. Buch. 
  
Seuche Platz greifen, die nur durch energisches Eingreifen in alle Verhältnisse bekämpft 
werden kann. 
Heilstättenbehandlung. Zm Vordergrund des Kampfes steht an erster Stelle 
die Heilstättenbehandlung. Es ist das Verdienst des da- 
maligen Vorsitzenden der Landesversicherungsanstalt der Hansastädte, GSebhardt, daß 
er in dem Invalidengesetz eine Handhabe zeigte, Gelder zum Bau von Heilstätten für 
Lungenkranke zu schaffen, soweit deren Zustand eine Wiederkehr der Erwerbsfähigkeit 
und demgemäß eine späterer Ersparung der Rente erwarten ließ. Der Gedanke von 
Gebhardt wurde allgemein aufgenommen, und soweit nicht die Versicherungsanstalten 
eigene Anstalten zur Behandlung ihrer Tuberkulösen ins Leben riefen, bewilligten sie 
zu geringem Zinsfuß anderen Vereinigungen Mittel zur Gründung derartiger ###- 
stalten. Ende des Jahres 1909 besaßen die Versicherungsanstalten allein 97 Heil- 
anstalten für Tuberkulöse; zu diesen kamen in der gleichen Zeit mehr als 60 weitere 
Anstalten, welche zum größten Teil der Beihilfe der Versicherungsanstalten ihre 
Entstehung verdanken. Daneben bestehen auch einzelne Privatanstalten, welche Kranke 
dritter Klasse aufnehmen. Außerdem haben einzelne Verwaltungsbehörden wie das 
Ministerium der öffentlichen Arbeiten Lungenheilstätten, so die Anstalt Stadtwald in 
Melsungen und Moltkefels bei Niederschreiberhau, unter Aufwendung großer Mittel 
für ihre Angestellten eingerichtet. Die Erfolge dieser Heilstätten sind im Laufe der Zeit 
durch bessere Auswahl der geeigneten Fälle und Fortschritte der Behandlung immer 
besser geworden. Von den in den Zahren 1897—1902 behandelten waren nach fünf- 
jähriger Kontrollperiobe noch 36—43 % erwerbsfähig, von den 1897—1901 behandelten 
waren nach § Jahren noch 41% der Männer und 49% der Frauen erwerbsfähig. 
Oie Heilstättenbehandlung hat außer dem Erfolg der Behandlung auch den Vorteil, 
daß die Tuberkulösen über die Gefahr der Krankheitsübertragung aufgeklärt werden und 
in täglicher Ubung durch Behandlung des Auswurfs und Verhalten beim Husten es ler- 
nen, ihre Umgebung nach Möglichkeit zu schützen. 
  
Vorbeugende Maßregeln. Oie erfolgreichen Versuche zur Bekämpfung der Tu- 
berkulose gaben die Anregung zu weiterem Ausbau 
des Begonnenen. Oie nächste Aufgabe bestand in der möglichst frühzeitigen Erkennung 
der Tuberkulose. Zm Fahre 1899 wurde in Berlin die Königliche Poliklinik für Lungen- 
kranke eröffnet und mit allen Hilfsmitteln zur frühzeitigen Erkennung der Tuber- 
kulose ausgestattet. In den verschiedensten Universitätsinstituten und Krankenhäusern 
wurden besondere Stationen zu diesem Zweck eingerichtet, die weiterhin zu er- 
wähnenden Fürsorgestellen übernahmen die gleiche Aufgabe; die A2rzte wurden immer 
erneut auf die Bedeutung der frühzeitigen Diagnose und Behandlung aufmerksam 
gemacht. Die zweite Aufgabe bestand in dem Schutz der Gesunden gegenüber Ansteckung 
und der möglichsten Entfernung der Lungenkranken aus der Familie. Die Befugnis 
der Landesversicherungsanstalten den Rentenberechtigten an Stelle der Rente Heim- 
stättenpflege zu gewähren führte zur Errichtung von Invalidenhäusern und Unter- 
  
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