X. Buch. Die soziale Medizin und soziale Hygiene. 281
wahn bezeichnet), an welcher in Deutschland etwa 2000 Menschen pro Fahr zugrunde
gehen, die häufig im besten Mannesalter und auf der Höhe der Arbeitskraft ihrer
Familie entrissen werden. Die Berhältnisse bringen es mit, daß besonders solche
Menschen, welche erst spät zu heiraten vermögen (Offiziere, Studierende, Beamte,
Kaufleute) gefährdet sind. Eine große Anzahl Syphilitiker geht außerdem an frühzeitig
eintretenden Erkrankungen des Herzens und des Gefäßspsteims zugrunde. Ein noch größerer
Schaden erwächst aus Erkrankungen der Nachkommenschaft. Viele Kinder sterben früh,
teils an den Folgen der Sypphilis, teils an Lebensschwäche. Ein großer Prozent-
satz von Kindern spphilitischer Eltern füllt die Zdiotenanstalten. Herr Dr. Kellner
hat in den Alsterdorfer Anstalten bei Hamburg vor kurzem nachweisen können, daß
unter 100 Fällen in 50 Fällen sich Reste von Spphilis durch die Befunde und
die Wassermannsche Reaktion nachweisen ließen. Immense Kosten erwachsen dem
Staat aus diesen Verheerungen einer Seuche. Dabei muß betont werden, daß die Er-
krankung auch durch direkte und indirekte körperliche Berührungen (Küssen, Schlafen in
einem Bett, Benutzung gleicher Tücher. Blasinstrumente) häufig übertragen wird.
Arzte, Hebammen, Krankenpfleger und Pflegerinnen werden nicht all zu
selten von ihren Patienten, Ammen durch kranke Kinder, #rbeiter von ihren Kameraden
angesteckt.
Prostitution und Seuchenkontrolle. Doch ist im allgemeinen dank der vielen
· Warnungen und Bestrebungen (ich erinnere
an die Bestrebungen der deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der betreffenden Er-
krankung) die Zahl der Erkrankungen gesunken. Immerhin kann noch viel nach dieser
Richtung geschehen. Bedauerlich ist vor allem, daß die für die UÜbertragung der Krank-
beit so gefährlichen Prostituierten in den großen Städten über das Weichbild der Stadt
verstreut, in größeren oder meist Ueineren Familienwohnungen sich einmieten dürfen.
Die Erschwerung der Seuchenkontrolle bringt es mit sich, daß dadurch Übertragungen auch
auf die Mitwohner und besonders die Kinder im Hause ermöglicht sind, Ubertragungen,
die vielfach erst nach Fahren schwere Sypmptome machen. In dieser Beziehung ist
eine Anderung dringend erwünscht. Allerdings bestand für den A#lrzt früher die Anzeige-
pflicht in allen Fällen, bei denen nach Ermessen des Arztes von der Verschweigung
der Krankheit nachteilige Folgen für die Kranken selbst oder für das Gemeinwesen
zu befürchten waren. Diese Bestimmungen sind durch das neue Seuchengesetz auf-
gehoben, und es ist nur eine Beobachtung, Absonderung und zwangsweise ärztliche
Behandlung bei denen gestattet, welche der gewerblichen Prostitution ergeben sind.
Biele von diesen entziehen sich aber der ärztlichen Behandlung, suchen Kurpfuscher
auf und tragen so zur Verbreitung der Seuche bei. Hier sind neue Gesetze auf Grund
der Erfolge bei der Bekämpfung der übrigen Seuchen dringend erforderlich. Es
sollte auch bei allen Prostituierten die Anwendung des Salvarsans geboten sein,
weil eine mehrwöchentliche Behandlung mit diesem Mittel die Krankheit vielfach
zur völligen Heilung bringt, jedenfalls aber die Ubertragungsfähigkeit in hohem Grade
herabsetzt.
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