Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
X. Buch. Die soziale Medizin und soziale Hygiene. 283 
  
und erwägt, daß viele alkoholische Erkrankungen sich der öffentlichen Beurteilung ent- 
ziehen, daß die Nachkommenschaft der Trinker vielfach geistig minderwertig ist 
und dem Verbrechen und der öffentlichen Armenpflege anheimfällt, dann muß 
man die Bestrebungen gegen den Alkoholismus mit allen Kräften unterstützen. 
Oiese Bestrebungen haben in allen Kulturstaaten einge- 
setzt, am energischsten und mit dem größten Erfolg in 
Schweden und Norwegen, durch Beschränkung der Schankstellen (in Gotenburg 1 Schank- 
stelle auf 2798 Einwohner), Verbot des Borgs und des Verkaufs an Menschen unter 
18 Zahren, Einrichtung von Kaffeehäusern mit Leseräumen. 
In Oeutschland hat allerdings die Verwaltung die Möglichkeit, die Auswüchse des 
Alkoholismus zu bekämpfen, indem die Konzession zum Ausschank geistiger Getränke 
an ihre Genehmigung gebunden ist. Aber trotzdem viele Gesuche, eine Kneipe errichten zu 
dürfen, abgelehnt werden, muß die Zahl der Kneipen doch noch als viel zu hoch be- 
zeichnet werden. Kommt doch eine Kneipe in einzelnen Provinzen auf 141—162 Ein- 
wohner, in anderen auf etwa 200. Von besonderem Schaden ist es, daß in lleineren 
Geschäften Alkohol in größeren Mengen über die Straße verkauft werden darf. 
Bestrebungen dagegen. 
  
Immerhin hat die Bekämpfung des Alkoholismus in 
Oeutschland Erfolge zu verzeichnen. Daß die Besserung 
der Arbeiterwohnungen, der Lebensverhältnisse ein wichtiger Faktor ist, braucht 
kaum betont zu werden. Arch die Gesetzgebung vom 15. Januar 1892, nach welcher 
derjenige entmündigt werden kann, welcher infolge von Trunksucht seine Ange- 
legenheiten nicht zu besorgen vermag, oder sich und seine Familie der Gefahr des 
Notstands aussetzt oder die Sicherheit anderer gefährdet, dürfte von Einfluß ge- 
wesen sein, wenn sie auch nicht allzu häufig in Anspruch genommen wird. Weiter- 
hin kann nach §& 361 des BG. derjenige, welcher sich dem Trunk dergestalt hingibt, daß 
er in einen Zustand gerät, in welchem zu seinem Unterhalt und zum Unterhalt derje- 
nigen, zu deren Ernährung er verpflichtet ist, durch Vermittlung der Behörde fremde 
Hilfe in Anspruch genommen werden muß, mit Haft bestraft und in einem Arbeits- 
haus untergebracht werden. 
Erfolge in Deutschland. 
  
Eine weitere Möglichkeit zur Bekämpfung des Ako- 
holismus hat die Reichsversicherungsordnung 
gebracht, indem auch Trunksüchtigen, welche nicht entmündigt sind, an Stelle der 
Renten ganz oder teilweise Sachleistungen gewährt werden können. Auf Antrag 
eines beteiligten Armenverbandes oder der Gemeindebehörde muß dieses sogar ge- 
schehen. Mit Zustimmung der Gemeinde können die Sachleistungen auch durch Vermitt- 
lung einer Trinkerfürsorgestelle gewährt werden; allein in Preußen bestehen 132 der- 
artige, in der Regel von Bezirksgruppen gegründete Einrichtungen, die meist seitens 
der Landesversicherungsanstalten durch Zuschüsse unterstützt werden. Diese tragen auch 
die Kosten, welche durch Aufnahme ihrer trunksüchtigen Klienten in Heilanstalten ent- 
Reichsversicherungsordnung. 
  
90“# 1427
	        
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