286 Die soziale Medizin und soziale Hygiene. X. Buch.
Frauenvereins geschaffen werden konnten. A#uch einzelne Privatpersonen haben sich große
Verdienste in dieser Richtung erworben.
Zm allgemeinen bedürfen aber diese Einrichtungen eines weiteren Ausbaues und
einer Ausdehnung auf das ganze Reich.
Säuglingsschutz. Ein Teil der Bestrebungen zum Mutterschutz dient naturgemäß
gleichzeitig dem Schutz der Neugeborenen. Ein derartiger
Schut ist nicht nur aus humanitären Gründen geboten, sondern mit Rücksicht auf die
auch in Deutschland abnehmende Zahl der jährlichen Geburten ein volkswirtschaftliches
Erfordernis.
Zst doch vom Jahre 1881 bis zum Fahre 1910 eine Minderung der Geburten von
46,9 zu Tausend auf 32,6 zu verzeichnen.
Die ersten Bestrebungen zum Säuglingeschutz bestanden in Beratungsstellen
für Kinderfürsorge (Taubein Leipzig, Budin in Paris). Zn Oeutschland wurden außer
den Arzten von der ersten Einrichtung der Fürsorgestellen an auch Fürsorgeschwestern
zur Mitwirkung herangezogen, welche durch Hausbesuche die Mütter und Pflegemütter
zu unterstützen in der Lage sind. Die erste Aufgabe gegenüber dem Neugeborenen be-
steht naturgemäß darin, die Mütter zum Stillen der Kinder zu veranlassen. Das ist
nicht immer ganz leicht, da auf der einen Seite Abneigung der Mütter gegen das Stillen,
auf der anderen Frauenarbeit und Beruf vielfach ein Hindernis für die natürlichen Mutter-
pflichten sind. Um diese wieder zu ihrem Recht kommen zu lassen, werden vielfach Still-
prämien in verschiedener Form gewährt. Manche Städte wie Berlin verausgaben als
Stillprämien beträchtliche Summen (150 600 M. im Jahre 1909). Andere Orte ge-
währen Prämien in Form von Naturalien (1 Liter Milch pro Tag). Auch Mutter-
schaftskassen wurden zu diesem Zweck gegründet.
Eine weitere Aufgabe besteht darin, Säuglingen, bei welchen die mütterliche Ernäh-
rung unmöglich ist, einwandfreie Milch in der dem Alter entsprechenden Form zu verab-
reichen. Die Zahl dieser Milchküchen ist ganz außerordentlich groß. In Verbindung
mit diesen Milchküchen sind vielfach auch Säuglingsheime entstanden. In Preußen wurde
auf Anregung Zhrer Majestät der Kaiserin und Königin im Jahre 1905 eine Zentrale
zum Säuglingsschutz ins Leben gerufen, aus welcher der Plan erwuchs, eine physiolo-
gische Forschungsanstalt für Säuglingsernährung mit llinischer Behandlung zu schaffen.
Die Grundlage hierfür wurde durch eine Spende der Mojestäten von 25000 M. und durch
Stiftung eines geeigneten Grundstücks seitens der Stadt Charlottenburg gelegt. #uch
vonseiten der Volksvertretung sind Mittel zu diesem Zweck bewilligt worden.
Heute kann das Kaiserin Augusta Biktoria- Haus zur Bekämpfung der Säug-
lingssterblichkeit im Deutschen Reich als eine Musteranstalt bezeichnet werden.
Zweifellos wird die neue Anstalt zur Nachahmung VBeranlassung geben. Gewiß
brauchen wir, wie Ministerialdirektor Kirchner mit Recht betont hat, keiner allzupessimi-
stischen Auffassung bezüglich des Geburtenrückgangs uns hinzugeben, da es vielfach besser
ist, wenn eine Familie eine kleinere Anzahl gesunder Kinder großzieht, als sich um eine
größere Zahl früh absterbender bemüht. Aber große Berücksichtigung darf der Geburten-
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