202 Veterinärmedizin. X. Buch.
von dem Wunsche, die deutschen Viehbestände auch unter den schwierigen Verhältnissen
der modernen, auf höchste wirtschaftliche Ausnutzung zielenden Viehhaltung und dees sich
immer verwickelter gestaltenden Viehverkehrs wirksam vor Seuchen zu schützen, und ge-
stützt auf wissenschaftliche Forschung und praktische Erfahrung, haben Männer der Wissen-
schaft und der Praxis in gemeinsamer Arbeit mit den zuständigen NReichs- und Staats-
behörden ein Werk geschaffen, das in der Gesetzgebung anderer Staaten nicht seines-
gleichen hat — ein Markstein in der Geschichte der Tierseuchenbekämpfung! Ob sich frei-
lich alle Hoffnungen erfüllen werden, ja überhaupt erfüllen können, die sich an dieses
Gesetz knüpfen, muß dahingestellt bleiben. Manches Neuland ist in Angriff genommen, und
die Zukunft muß lehren, ob das Rüstzeug für diese Arbeit ausreicht. Wie aber auch der-
maleinst das Urteil im einzelnen ausfallen wird, ein gutes Stück wird uns das neue
Seuchengesetz sicherlich auf dem erfolgreich betretenen Wege vorwärtsbringen. Dann
aber werden Wissenschaft und Praxis, so hoffen wir, neue Waffen zum weiteren erfolg-
reichen Kampfe geschmiedet haben.
Fleischbeschau. Die Dienste, welche die Veterinärmedizin der Allgemeinheit
leistet, sind mit der Bekämpfung der Tierseuchen noch nicht
erschöpft. Die durch den allgemeinen Aufschwung der naturwissenschaftlichen und
medizinischen Forschung in der Mitte des vorigen Jahrhunderts bedingte zu-
nehmende Vertiefung unserer Kenntnisse von den vielseitigen Wechselbeziehungen
zwischen Tier- und Menschenkrankheiten hatte naturgemäß auch zur Folge, daß
man den Gefahren, die der menschlichen Gesundheit durch den Genuß des Fleisches
kranker Tiere drohen, erhöhte Aufmerksamkeit schenkte und Mittel und Wege zu ihrer
Abwehr suchte. So wurde der jungen tierärztlichen Wissenschaft noch in der zweiten Hälfte
des vergangenen Jahrhunderts nicht nur ein neues Forschungsgebiet, sondern zugleich
auch ein wichtiges Feld praktischer Tätigkeit im Dienste der Allgemeinheit erschlossen, die
Fleischbeschau, der zahlreiche Tierärzte seither ihre Kräfte widmen.
Ihren Ausgangspunkt nahm die wissenschaftliche Forschung, welche die Anregung
zum Aufschwunge der Fleischbeschau gab, von den Arbeiten Küchen meisters über die
Metamorphose der Schweinefinnen in Bandwürmer des Menschen im Fahre 1852 und
Zenkers über die Schädlichkeit der Muskeltrichinen des Schweines für den Menschen
im Jahre 1860. Als dann Ville min 1865 die Tuberkulose für eine spezifische, vom Mensch
auf Tier und von Tier auf Tier übertragbare Infektionskrankheit erklärt und Gerlach
1869 die Ubertragbarkeit der Tuberkulose durch Verfütterung des Fleisches tuberkulöser
Tiere experimentell bewiesen hatte, war der Grund zur wissenschaftlichen Fleischbeschau
gelegt, die dann in den achtziger und neunziger Fahren eine gewaltige Förderung er-
fuhr. So gelang es mit Hilfe der neueren experimentellen Methoden der Pathologie
in der Folgezeit noch wiederholt, durch Impfung und Fütterung die Möglichkeit der Über-
tragung verschiedener Tierkrankheiten auf den Menschen durch den Fleischgenuß festzu-
stellen. Auch lehrte die Bakteriologie eine Anzahl kleinster pflanzlicher Lebewesen kennen,
die im Fleische ihr Dasein fristen und, mit demselben auf Menschen übertragen, wiederum
Krankheiten hervorrufen, und mit Hilfe der Chemie wurde festgestellt, daß andere im Tier-
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