296 Veterinärmedizin. NX. Buch
ist es der mündig gewordenen tierärztlichen Wissenschaft vergönnt, wenigstens einen Teil
des Dankes abzutragen, den die Veterinärmedizin der älteren und länger wissenschaftlich
tätigen Schwester schuldet.
Praktische Veterinärmedizin. Aber auch die praktische Beterinärmedi-
zin ist in diesem Wettstreit nicht zurückgeblie-
ben und hat in allen ihren Zweigen eine wissenschaftliche Vertiefung erfahren. Wir danken
es Männern wie Friedberger, Siedamgrotzky, Dieckerhoff, Moeller, Fröhner
und ihren nunmehr als Leiter tierärztlicher Hochschulkliniken tätigen zahlreichen Schülern,
daß auch die praktische tierärztliche Tätigkeit aus dem gewaltigen Aufschwunge der ge-
samten medizinischen Wissenschaft in den letzten 25 Jahren dauernden Autzen gezogen hat.
So sind nicht nur die diagnostischen Hilfsmittel zur Feststellung innerer und äußerer Leiden
und ihre Behandlungemethoden wesentlich verbessert, sondern es sind auch infolge der
Fortschritte der Chirurgie bei den Tieren Operationen möglich geworden, an deren Aus-
führung vor 25 Jahren niemand zu denken wagte, so daß der praktische Tierarzt, dessen
Tätigkeit sich, entsprechend dem ständig steigenden Werte der Haustiere, einer zunehmenden
Anerkennung und Wertschätzung erfreut, heute mit ganz anderem Rüstzeug seines schwie-
rigen Amtes walten kann. Auch hat die Preissteigerung aller von Tieren stammenden
Nahrungsmittel von selbst dahin geführt, daß der NRat des Tierarztes gegenwärtig nicht
selten bei Krankheiten in Anspruch genommen wird, die früher nicht Gegenstand tierärzt-
licher Beratung waren, wie Geflügel- und Fischkrankheiten, seuchenhafte Bienenkrankheiten.
Tierzucht. Noch auf ein anderes erweiterungsfähiges tierärztliches Arbeitsfeld sei
— an dieser Stelle hingewiesen, die Tierzucht, die von Alters her neben
praltischen Landwirten auch Tierärzte zu ihren namhaften Vertretern gezählt hat. Wenn
auch in vielen Gegenden, so vor allem in Baden, Bayern und Hessen durch Lydtins
Einfluß und in Sachsen durch Puschs Wirken den Tierärzten, insbesondere den be-
amteten Tierärzten, ein beachtlicher Einfluß auf die Tierzucht zugestanden ist, so kann es
doch nur im Znteresse der Landwirtschaft selbst liegen, wenn die in dem tierärztlichen
Wissen ruhenden züchterischen Kräfte mehr als bisher zur Förderung der landwirtschaft-
lichen Tierzucht ausgenutzt werden.
Gerichtliche Tierheilkunde. Endlich sei noch eines besonderen Zweiges prak-
tischer tierärztlicher Tätigkeit gedacht, der gerade
in jüngster Zeit erhebliche Wandlungen erfahren hat, nämlich der gerichtlichen
Tierheilkunde und ihrer Umgestaltung nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetz-
buches am 1. Zanuar 1900. Die Gewährleistung im Biehhandel ist von jeher Gegenstand
lebhafter Kontroverse gewesen. Die VBerschiedenartigkeit ihrer gesetzlichen Regelung in
den einzelnen Staaten war ein Ausdruck für die grundverschiedenen Auffassungen über die
zweckmäßige Lösung dieser Rechtsfrage. Zumal in Deutschland war vor dem Inkraft-
treten des BEB. die Gewährleistung im Biehhandel nicht selten in politisch und wirt-
schaftlich eng zusammengehörigen Landesteilen ganz verschieden geregelt. Gegen-
1440