X. Buch. IV. Die Agrikulturchemie. 333
2. Die Ernährung der landwirtschaftlichen Nutztiere.
Eine ganz neue Grundlage hat die Fütterungslehre durch die Kellnerschen For-
schungen erhalten. Als wertbestimmend für die einzelnen Futtermittel und als Grund-
lage für die Berechnung von Futterrationen galten die verdaulichen Nährstoffe. Man
nahm an, daß die verdaulichen Nährstoffe in allen Futtermitteln: Körnern, Olkuchen,
Kartoffeln, Rüben, Heu, Stroh usw., die gleiche Wirkung äußerten. Ourch langjährige,
mühevolle Untersuchungen Kellners mit Hilfe des bekannten Pettenkoferschen Respirations-
apparates ist nun festgestellt worden, daß die verdaulichen Nährstoffe in den verschiedenen
Futtermitteln eine ganz verschiedene Wirkung zeigen, daß also die bisherige Rechnung
nach verdaulichen Nährstoffen nicht richtig ist. Es kommt, so zeigte Kellner, nicht allein
auf die Menge der einzelnen verdaulichen Nährstoffe an, sondern auch auf die Form, in
welcher sie dem Tiere geboten werden. Die günstigste Form für die Produktionsfütterung
ist die mehlartige Beschaffenheit der Futtermittel, so wie sie der größte Teil unserer
Kraftfuttermittel aufweist. Die verdaulichen Nährstoffe solcher Futtermittel wirken wie
die isolierten Aährstoffe, d. h. es wird durch 1 kg verdaulicher Stoffe dieser Futtermittel
derselbe Körperansatz erzielt als durch 1 kg isolierter Nährstoffe. Es wirken das ver-
dauliche Eiweiß dieser Futterstoffe wie z. B. das isolierte Kleberprotein, das Fett der-
selben wie z. B. das Erdnußöl, die Kohlehpdrate wie das Stärkemehl. Ganz anders
wirkten nun bei den Kellnerschen Versuchen die verdaulichen #ährstoffe in den Rauh-
futterstoffen. Während die verdaulichen #Nährstoffe in Form der mehlartigen Kraft-
futtermittel sich als vollwertig erwiesen, haben wir bei den NRauhfutterstoffen einen er-
heblichen Produktionsausfall zu verzeichnen, der je nach der Art des Rauhfutters ein
verschiedener ist. So beträgt z. B. derselbe nach den Kellnerschen Versuchen bei dem harten
Weizenstroh bis zu 80% , bei dem weicheren Kleeheu immer noch 30 %. Dieser Pro-
duktionsausfall ist nach Kellner zurückzuführen auf die große Kauarbeit, welche diese
Stoffe dem Tiere verursachen, auf die Belastung des Verdauungsapparates durch diese
Stoffe und auf gewisse Fäulniserscheinungen, wodurch ein größerer Teil der verdau-
lichen Stoffe verbraucht wird, somit für die Produktion verloren geht. Nahe heran an
die Kraftfuttermittel mehlartiger Beschaffenheit kommen mit ihrem Produktionswert
die nackten Getreidekörner und die Leguminosenkörner und auch die wasserreichen Massen-
futtermittel der Wirtschaft: Schnitzel, Kartoffeln, Rüben usw. In der Mitte zwischen
den Kraftfuttermitteln mehlartiger Beschaffenheit und den Rauhfutterstoffen liegen mit
ihrem Produktionswert die Abfälle der Müllerei und Gärungsgewerbe, wie Roggen-
lleie, Weizenkleie, getrocknete Biertreber, getrocknete Schlempe usw.
Aus den Kellnerschen Forschungen geht also hervor, daß die Rechnung nach ver-
daulichen Nährstoffen nicht richtig ist, sondern daß die Futterbewertung und die Be-
rechnungen der Rationen nach dem Produktionsvermögen der Futtermittel vor-
zunehmen sind. Das Produktionsvermögen der Futtermittel erstreckt sich einerseits auf
die Erzeugung von Körperfett, Milchfett, Milchzucker und nutzbarer Muskelkraft, woran
sämtliche Nährstoffe, sowohl die stickstoffhaltigen als die stickstofffreien, teilnehmen können,
andererseits auf die Erzeugung von stickstoffhaltigen Stoffen (des Fleisches, der Milch
und Wolle), woran direkt nur das Eiweiß teilnehmen kann. ODer erfte Teil der Produk-
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