Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
342 Die technischen Wissenschaften. X. Buch. 
  
gewachsen. So ist das Materialprüfungsamt der Technischen Hochschule Berlin aus der 
lleinen Versuchsanstalt in Frankfurt a. O. entstanden, in welcher Wöhler in den sechziger 
Fahren vorigen Zahrhunderts seine epochemachenden Versuche vornahm. Auf dem Wege 
über die Kgl. Gewerbeakademie in Berlin und die Technische Hochschule ebendaselbst ist 
diese Anstalt zu dem in Groß-Lichterfelde belegenen, einen Teil der Hochschule bildenden 
Prüfungsamt geworden. — Die Technische Hochschule München besaß bereits seit 1871 
eine Versuchsanstalt, welche hervorragende Arbeiten von Bauschinger und Foeppl zu 
verzeichnen hat. Stuttgart besitzt eine 1884 durch Bach ins Leben gerufene Material- 
prüfungsanstalt, die durch die rastlose Tätigkeit ihres Gründers und Vorstandes grund- 
legende Bedeutung für Wissenschaft und Technik gewonnen hat. Auch andere Technische 
Hochschulen haben solche Prüfungsanstalten: Dresden, Darmstadt, Karlsruhe usw. 
Außer an den Technischen Hochschulen bestehen auch an einer Zahl bedeutender 
Brückenbauanstalten Vorkehrungen zur Prüfung von Materialien und Konstruktionsteilen 
im großen Maßstabe. 
Insbesondere machte sich das Bedürfnis fühlbar, planmäßige Versuche in großem 
Maßstabe anzustellen zur wissenschaftlichen Klärung wichtiger Konstruktionsfragen, bei 
deren Lösung die rein theoretische Untersuchung nicht genügte. Der im JZahre 1904 ge- 
bildete Verein deutscher Brücken- und Eisenbaufabriken, der sogen. „Brückenbauverein“, 
nahm diese Angelegenheit in die Hand und es wurde eine Versuchskommission ins Leben 
gerufen, mit Vertretern des Brückenbauvereins, des Ministeriums der öffentlichen Ar- 
beiten und des Kultusministeriums. Der Arbeitsplan der Kommission ist sehr umfang- 
reich. Er umfaßt Versuche über den Gleitwiderstand der ARietverbindungen, Versuche mit 
fertigen Teilen von Eisenbrücken, über Anschlüsse steifer Stäbe, Ausknicken von Druck- 
stäben, Seitensteifigkeit der oberen Gurtungen oben offener Brücken, Versuche über den 
Einfluß des Winddrucks auf gegliederte Brückenträger usw. Die Ausführung der Versuche 
ist dem Kgl. Materialprüfungsamt in Groß-Lichterfelde übertragen. 
Oie Versuche in den verschiedenen Prüfungsanstalten haben eine außerordentliche Be- 
deutung gehabt für die Kenntnis des oben bereits erwähnten neuen Baustoffs, des Eisen- 
betons. Nur auf Grund eingehender Versuche konnte man dem Eisenbeton immer größere 
Aufgaben zuweisen: man prüfte die einzelnen Konstruktionen, stellte die Gesetzmäßigkeiten 
und die Konstanten fest (die Elastizitätsziffer, die Festigkeiten, die Einflüsse der Zusammen- 
setzung, des Alters, des Einzelmaterials usw.). Uber alle diese Versuche werden von dem 
Deutschen Ausschuß für Eisenbeton fortlaufend Berichte in besonderen Heften veröffentlicht. 
Auch beim Eisen im weitesten Sinne schreitet man, gestützt auf Materialprüfung, 
rüstig vorwärts. Man hat in den letzten Jahren einen besonders widerstandsfähigen 
Lickelstahl in den Brückenbau eingeführt, dessen Eigenschaften wesentliche Fortschritte 
in den Konstruktionen versprechen. 
Es darf wohl ohne Uberhebung gesagt werden, daß auf dem Gebiete des wissenschaft- 
lichen Brückenbaues Deutschland an der Spitze geht, dank der gediegenen Ausbildung 
seiner Ingenieure, dank besonders der Leistungen der drei größten: Otto Mohr, H. Müller- 
Breslau, H. Zimmermann. 
1) Zentralbl. d. Bauverw. 1909, S. 66; Eisenbau 1912, S. 193, 229. 
  
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