Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
X. Buch. III. Wasserbau. 357 
  
Wasserbauliche Kunstbauten. Soweit es sich um die Herstellung wasser- 
baulicher Kunstbauten, wie Schleusen, 
Schiffshebewerke, Wehre, Talsperren und Hochbehälter handelte, hat der im Wasserbau 
tätige Ingenieur von den Fortschritten Nutzen gezogen, welche die Baustoff- und 
Festigkeitslehre sowie der Maschinenbau in den letzten Jahrzehnten aufzuweisen 
hatten. Er hat auch selbst an diesen Fortschritten mitgearbeitet, namentlich 
bei der Erforschung der zweckmäßigen Zusammensetzung und der Eicgenschaften 
der Mörtelstoffe und des Betons, der im Wasserbau immer mehr an die Stelle 
des Mauerwerks trat, und bei der Untersuchung des Verhaltens großer geschlossener 
Mauerwerks- oder Betonmassen, wie sie in den Talsperren vorkommen. Dem neuen 
Baustoff Eisenbeton, der in so zweckmäßiger Weise die Druckfestigkeit des Betons 
mit der Zugfestigkeit des Eisens zur vereinten Wirkung bringt und zugleich das Eisen 
der Rostgefahr entzieht, hat der Wasserbau ein weites Anwendungsgebiet erschlossen. 
Der Fortschritt des Maschinenbaues kam den Verschlußteilen von Wehren und Schleu- 
sen, sowie den Wasserkraftwerken und den Wasserversorgungsanlagen zugute. In 
dem Schiffshebewerk von Henrichenburg, das große Kähne mit ihrer Ladung spielend 
14 m hoch emporhebt und in den großen beweglichen Wehren, wie sie z. B. am 
Oberrhein erbaut worden sind, wurden maschinelle Anlagen von seltener Großartig- 
keit geschaffen. 
  
EFluß- und Seebau. Ist der Ingenieur heute bei dem Entwurf der wasserbaulichen 
Kunstbauten zu der gleichen sicheren Beherrschung des 
Baustoffes und des Spieles der Kräfte gelangt, wie bei den Bauwerken auf anderen 
Gebieten des Ingenieurwesens, indem er die angreifenden Kräfte rechnerisch genau 
bestimmen kann und die Eigenschaften der Baustoffe mit ausreichender Zuverlässig- 
keit kennt, so fehlt ihm auf anderen Gebieten des Wasserbaues, bei denen er es mit 
den Angriffen des bewegten Wassers und dem Widerstand des Bodens zu tun 
hat, die gleiche Sicherheit. Namentlich im Fluß- und Seebau versagen die 
Mittel für ein scharfes rechnerisches Verfahren, weil die Erscheinungen des 
Wasserabflusses, der Gezeiten und der Wellenbildung, sowie der Sirnkstoffbe- 
wegung und der Gestaltung der Flußbetten und des Meeresbodens noch nicht theore- 
tisch genügend klar gelegt werden konnten. Infolgedessen ist es heute noch nicht möglich, 
die auf das Bett und die Einbauten wirkenden Kräfte mit genügender Schärfe rechnerisch 
zu bestimmen. Auch entziehen sich die im Fluß- und Seebau vielfach zur Anwendung 
kommenden Baukörper aus Buschwerk und losen Steinen einer so sicheren statischen 
Untersuchung, wie sie bei anderen Baustoffen mit einem dichteren und gleichmäßigeren 
Gefüge möglich ist. Der Ingenieur ist daher im Fluß- und Seebau hauptsächlich auf 
Beobachtungen und Erfahrungen angewiesen. Bahnbrechende Praktiker wie Eptel- 
wein, Tulla, Hagen und Franzius haben neben ausländischen Ingenieuren dem deutschen 
Wasserbau den Weg gewiesen, der unter den so schwierigen und so außerordentlich mannig- 
faltigen Verhältnissen im Fluß- und Seebau zum Ziele führt. Zhre Untersuchungen 
und Vorschläge bilden auch heute noch vielfach die Grundlage für den Fluß- und See- 
  
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