362 Die technischen Wissenschaften. X. Buch.
die Bewegung eines materiellen Punktes. Die Maschine verlangte die Ausdehnung dieser
Lehren auf materielle Körper, auf flüssige und gasartige sowohl wie auf elastische. So
entstand neben der Hydraulik und Gasmechanik auch die Lehre von der Festigkeit und
Elastizität als eine zunächst technische Wissenschaft, deren Ausbildung und Verfeinerung
besonders französischen Mathematikern des vorigen Jahrhunderts zu danken ist. Zu den
Grundlagen der Festigkeitslehre gehört auch die experimentelle Festigkeitsprüfung, welche
in den letzten Jahrzehnten sowohl durch die Tätigkeit amtlicher Prüfungsstellen,
als auch durch die in den Hüttenwerken eingeführten Festigkeitskontrollen, großen Ein-
fluß auf die Leistungen der Werke gewonnen hat. Es entstand ein Wettkampf zwecks Er-
zeugung immer festerer und technisch wertvollerer Metalle, wie sie besonders zum Bau
der leichten Motoren für Automobile und Luftfahrzeuge erforderlich sind. So gebührt
ein nicht geringer Anteil der Bewunderung, welche die Gegenwart den Erfolgen der
Flugtechnik zollt, der stillen Arbeit des Chemikers und des Hüttenmannes, ohne welche
die von der Wissenschaft lange geübte Zurückhaltung in bezug auf das Flugproblem noch
heute berechtigt sein würde.
Auch auf anderen Gebieten der Maschinentechnik hat das Experiment mehr und mehr
fördernden Einfluß gewonnen. Fast in allen Fällen, in denen es möglich ist, die Lehren
der überkommenen Wissenschaft einer Nachprüfung zu unterwerfen, ist es Gebrauch ge-
worden, diese Möglichkeit auszunützen. Um die Ingenieure hierfür vorzubereiten, sind an
den technischen Hochschulen und an vielen technischen Mittelschulen Laboratorien
maschinentechnischer Richtung ins Leben gerufen worden, aus denen schon zahlreiche,
zum Teil sehr wertvolle Forschungsarbeiten hervorgegangen sind. Zumeist sind es Oisser-
tationen zur Bewerbung um den Doktor-Ingenieur-Titel, an denen ersichtlich wird, wie
das Promotionsrecht — für die preußischen technischen Hochschulen bekanntlich ein Ge-
schenk des Kaisers zur Zentenarfeier der Berliner Hochschule — ein Mittel geworden
ist, das Streben nach einem persönlichen Ziel dem Gesamtwohl dienstbar zu machen.
Die Fortschritte in der Meßtechnik und ihre Verbreitung haben dazu geführt, daß kaum
noch eine größere Maschinenanlage zur Ausführung kommt, ohne daß die im Vertrag
ausbedungenen Werte für Leistung und Berbrauch vor der Abnahme einer genauen
experimentellen Prüfung unterworfen werden. Die Erfahrungen, welche bei dergleichen
„Abnahmeprüfungen" gemacht werden, bleiben zwar in vielen Fällen der Offentlich-
keit vorenthalten, aber auch im Besitz einer einzelnen Firma oder eines einzelnen Inge-
nieurs können sie zur weiteren Verbesserung und Vervollkommnung der Maschinen we-
sentliche Dienste leisten, besonders dann, wenn sie nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten
bearbeitet und geordnet werden.
Während hier das geistige Eigentum durch Geheimhaltung geschützt wird, tritt beim
Patent der staatliche Rechtsschutz ein, wofür der Erfinder durch Veröffentlichung der
Erfindung einen Beitrag zum allgemeinen Schatze technischen Wissens zu leisten hat,
der in den meisten Kulturstaaten durch die Patentschriften der Offentlichkeit zugänglich
gemacht wird. Ist hiernach auch das Patentwesen zu den Quellen technischen Wissens
zu zählen, so bringt es doch der Rechtszweck mit sich, daß der technisch wissenschaftliche
Gehalt der Patenturkunden wenig hervortritt, ja in vielen Fällen verschwindet, und
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