384 ODie technischen Wissenschaften. X. Buch.
Gegenwärtig dürfte es in Deutschland wenige Orte geben, welche derartige Einrichtungen
nicht wenigstens notdürftig begonnen haben. Im Jahre 1911 haben 388 Städbte nicht mehr
unmittelbar in Flüsse entwässert, sondern zuvor gereinigt.
Oie hygienische Bedeutung der Städtereinigung und Entwässerung und die große
Zahl gelöster Aufgaben in den letzten Jahrzehnten ersieht man in dem Sammelwerk von
Salomon: „Städtische Abwasserbeseitigung in Deutschland“, 1907 und seither fortgeführt.
Als Dokumente der umfassenden technisch-wissenschaftlichen Arbeit sind hervorzuheben:
Büsing, „Die Städtereinigung", 1897—1901. Frübling, „Die Entwässerung der Städte“
im Handbuch der Ingenieurwissenschaften, 4. Aufl. 1910.
Die Kanalisation eines Geländes bildet in der Negel eine Grundbedingung für dessen
Bebauungsfähigkeit. Nur bei weiträumiger Bebauung mit reichlicher Acker- oder Garten-
fläche läßt sich etwa das Brauchwasser durch unmittelbare landwirtschaftliche Verwendung
beseitigen. Ferner wird durch die technischen Anforderungen an ein Kanalnetz die An-
ordnung des Straßennetzes wesentlich beeinflußt. Für flachliegende Baugebiete ist die
Bestimmung der allgemeinen Höhenlage der künftigen Straßen besonders wichtig, denn
von ihr sind einerseits die Kosten der Entwässerung, andererseits die Kosten der Aufhöhung
von Straßen und Grundstücken abhängig. Gewisse Gebiete können überhaupt erst mit
den heutigen Hilfsmitteln der Kanalisation, wie Ausgleichbehälter, Pumpen, Transport-
kanäle entwässert werden. Insbesondere zeigt sich dies, wo eine Stadt unerwartet auf
eine entlegene Gegend binauswachsen möchte und das bestehende Kanalnetz sich nicht
mehr einfach verlängern läßt. Aicht selten sieht man jedoch Bebauungspläne, in welchen
durch „schöne"“, aber ungeschickte Linienführung oder verkehrte Höhenlage der Kanalisation
große Schwierigkeiten oder Kosten erwachsen. Es sind deshalb Straßennetz und Kanalnetz
gemeinsam zu bearbeiten, um vollständig zu befriedigen.
Seit langem und besonders in den letzten Zahrzehnten wird
viel Mühe darauf verwendet, die Tatsachen und Ursachen der
vielbeklagten Ubelstände im Wohnungswesen zu untersuchen und Gegenmaßregeln vor-
zuschlagen. Wohnungsmißstände geben sich nach vier Richtungen kund: in quanti-
tativer Beziehung, insofern die Herstellung von Wohnungen dem Bedarf nicht regel-
mäßig folgt, in fin anzieller durch die allgemeine Steigerung der Wohnungsausgaben
einer Familie (Mieten), welche von den Einnahmen (Löhne) bis zu ½ verschlingen,
ferner in gesundheitlicher Hinsicht vermöge der schon oben besprochenen Wohn-
dichtigkeit, endlich auf sittlichem Gebiet durch Familienzerfall und Heimatentfremdung,
durch Alkoholismus und Verbrechertum, kurz in der Gewöhnung an ein äußerlich und
innerlich menschenunwürdiges Dasein. Zahllose Belege zu alledem begründen leider
noch vielfach das Motto: Teuer und schlecht, aber auch das gesteigerte Bestreben zur
Verbesserung der Wohnungszustände, als der wichtigsten äußeren Grundlage aller
sozialen und sittlichen Reformen.
Der Aufwand für eine Wohnung entsteht aus Bauplatz und Baukosten (im engeren
Sinn). Auf beide Teile ist die Baudichtigkeit, vor allem die Geschoßzahl des Hauses, von
Einfluß. Erhält ein Haus mehr Geschosse, so nehmen die Mauerdicken, Baugerüste,
Wohnungswesen.
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