XI. Buch. Die Literatur. 13
so wundersam einheitlich, weil kerndeutsch: der Sohn des Harzgebirges mit den gewundenen
Tälern und Schluchten und Bergwerkkammern, der Schilderer alter Straßen mit ihren
krummen Gassen, spiegelt sich auch in der Art wider, wie er seine Geschichten anlegt;
da gibt es allerlei Irr- und Abwege, unübersichtlich und kraus; der Stil ist schnörklig wie
seine Handschrift, der K#hpthmus wird zerhackt. Alles Glatte, Gradlinige, nun gar weich-
liches Isthetentum mit Gemache und Getue war ihm, wie dem bärbeißigen Meister Gott-
fried, ein Greuel. Kommtjer aber in Fluß, so rauscht es in vollen Akkorden. Er war
spröde, zurückhaltend, verschwiegen und verschämt in seiner Innerlichkeit, bis in die Knochen
norddeutsch — und doch wie vieles hat er mit dem knorrigen und knurrigen Schweizer
gemeinsam! Alle Schlagwörter waren ihm verhaßt, und als wieder einmal ein neues
aufgekommen war, das „Heimatkunst"“ forderte, da rief er aus (noch in der letzten Zeit
seiner Tage), „Ich will kein „Heimatdichter", sondern ein deutscher Dichter sein!“ —
m engsten Ringe, im stillsten Herzen weltweite Dinge": das kann man über sein Schaf-
fen setzen, oder das Motto zu den „Alten Nestern“ oder deren köstlichen Anfang: „Eine
Blume, die sich erschließt, macht keinen Lärm dabei. Auf leisen Sohlen wandeln die
Schönheit, das wahre Glück und das echte Heldentum. Unbemerkt kommt alles, was
Dauer haben wird in dieser wechselnden, lärmvollen Welt voll falschen Heldentums,
falschen Glückes und unechter Schönheit!“ —
Es lag in der Zeit und in seinen Lebenserfahrungen be-
gründet, daß Naabes Humor Wandlungen durchgemacht hat.
Er mußte durch Schopenhauers Pessimismus bindurchgehen,
und da zeigt seine Tragik etwas gallig Verbissenes, und etwas von bitterem Lächeln
gleitet immer wieder über seine Züge. Ein Klang von Resignation über die Vergänglichkeit
und Nichtigkeit des Erdendaseins schwingt bis zu „Altershausen“ (1911) mit. Der Welt-
schmerz und die Weltfreude sind eben Geschwister, Kinder der Gemütsinnigkeit, die alles
mit verstehender Liebe umfaßt: die Weltläufe wie die sonderbaren Käuze und Narren,
die um den Platz an der Sonne Betrogenen, die darob aber nicht verzagen, sondern ein
stilles Heldentum voll Lebensweisheit und Lebensfernheit führen. — „Tiefer ist unserer
Freude Born, tiefer als das Leiden“, sagt der sonnige, in Sinnenfreude vollblühende
Keller. Raabe betont mehr das Leiden, weist aber den Sieg auf, den ein starkes Gemüt
darüber gewinnt, denn es birgt unsichtbaren Reichtum, das Traumland der Phantasie,
und die aufopfernde Hingabe als unversiegbare Glücksquelle in sich. So gehen lächelnd
in hartem Kampfe, durch alle Nöte und Wirrsale, diese Lebenshelden frei hindurch, still
überlegen — wahrlich eine andere Art als die sich auslebenden, d. h. vielfach an das
Gemeine sich ausgebenden „Herrenmenschen“ modernen Wesens.
Wandlungen des
Humors bei Raabe.
Fontanes Humor hat eine Beimischung von Skepsis und Zronie und Berliner
„Wurschtigkeit“ an sich, ist also mit dem Wasser des Verstandes getauft. Stürmisch ho-
ben die Jungen den Alten auf den Schild, und er zeigte ihnen, wie man Frrungen und
Wirrungen, Halbwelt und scheiterndes Eheleben darstellen könnte, ohne ins Gemeine
abzugleiten, wie man Berlin W. mit Humor erfasse („Frau Zenny Treibel"“) und wie
das Leben. Was vom alten Schloßherrn von Stechlin gesagt wird, das gilt von Raabe,
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