14 Die Literatur. XI. Buch.
Keller, Storm und Fontane selbst: „Er hatte das, was über alles Zeitliche hin-
ausliegt, was immer gilt und immer gelten wird, ein Herz. Er war recht
eigentlich frei. Nichts Menschliches war ihm fremd, weil er sich selbst als
Mensch empfand und sich eigener menschlicher Schwäche bewußt war. Er
war das Beste, was wir sein können: ein Mann und ein Kind.“
Eine im höchsten Sinne durch edles Maß gebändigte, aristokratische Dichternatur
tritt in C. F. Meyer uns entgegen, dessen „Angela Borgia“ den Beschluß der reichen
Reihe historischer Romane und Novellen bildete (1891); er ward Bahnbrecher einer neuen
Kunst, weder dem Klassizismus noch der Romantik huldigend; in seiner Epik und Lyrik
ist etwas bis dahin Nichtgewesenes und Nichtwiederholtes gegeben, das bis in die kleinsten
Verzweigungen des Stils und der Technik sich kundgibt: ein in schönen, reinen Formen
gehaltener, keusch verhaltener Realismus. —
Ooch die Schweiz stellte noch einen großen, zeitlosen Dichter über die Kämpfe der
Zeit. Als ein Einsamer, der spät zum Schaffen und spät zur Anerkennung gelangte,
steht Karl Spitteler da. Er ist einer der wenigen großen Epiker dieser Epoche, in voller
Selbstherrlichkeit vor Nie#tzsche sich behauptend, und auch seine Lyprik ist nur mit eigenen
Maßen zu messen. Eine gradezu mythische Phantasie schöpft in den großen Epen aus
den tiefen Quellen des Kosmos; die antike Götterwelt ersteht neu in einem ganz modernen
Geiste, der unerschöpflich ist in Schönheit, der bald in spöttischem Humor, bald in ernster
Gemessenheit, bald in tollen Sprüngen sich bewegt, und die uralten Rätselfragen werden
als ewig junge empfunden. ODie unvergleichliche Erfindungsgabe reißt mit sich fort.
Freilich muß man mit Bedacht lauschen, verweilen können, und das behagt unserer
hastenden Zeit nicht; übrigens auch sie sagt ihm selbst nicht zu; er vermißt an ihr Mannes-
mark und jenen Mut, der im Gewissen sitzt. In tragischer Lebensanschauung hält er es für
die Aufgabe des Epikers, durch den Sonnenschein der äußeren Welt in hohle, finstere
Tiefen zu schauen; doch auch in seiner Welt sind Lichtkräfte tätig, und in den „Elocken-
liedern“ klingt auch der Ton jauchzenden Humors.
Eine gewisse epische Kühle und Herbheit in der Technik ist auch Marie v. Ebner
eigen, aber ihr Herz ist ganz Güte und Weieheit, voll tiefen sozialen Mitgefühls mit den
vom Adel unterdrückten Dörflern, mit dem oft so edlen und reinen Menschentum, das in
der Gestalt des armseligen Menschenkindes wohnt und aus seiner Hemmung und Läh-
mung nur befreit und aus seinem Schlummer nur geweckt werden muß. Ohne Pathos
und Feierlichkeit setzt sie Strich für Strich und entwirft düstere Bilder, aber auch sonniger
Humor liegt über mancher Erzählung, sowie Liebe zu Kindern und zu Tieren, und in
ihren Sprüchen münzt die edle Frau einen Herzensreichtum aus, wie er nur wenigen
Zeitgenossen eigen ist. Männliche Kraft zeichnet die Erzählerin Marie Ebner aus; etwas
frauenhaft Weiches, liegt wie zarte, melancholische Stimmung über vielen Erzählungen
Ferdinand v. Saare, der selbst am Leben zerbrach, wie er so viele zerbrochene schildert.
Zn der Novellenkunst blieb und bleibt Paul Hepse unerschöpflich, nicht sonderlich
tief, doch die goethische Uberlieferung in Stil und Reinheit und Plastik der Form fest-
haltend und dabei die modernsten psychologischen Probleme mit Anmut und Geist
behandelnd; heiß rang er um die dramatische Palme, doch seine Natur ist durchaus
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