20 Die Literatur. XlI. Buch.
fassung atmet auch ihr Stil. — Heißes, oft den Aufbau sprengendes Temperament
durchbebt die Werke Helene Böhlaus, die Symbolisches und Naturalistisches ver-
schmelzen („Nangierbahnhof"). Vergängliche Schicksale an unvergängliche Größe wußte
sie in ihren Geschichten aus dem alten Weimar zu knüpfen; ein Bekenntnisbuch seelen-
vollster Art ist „Zsebies“. Es darf mit Recht schließen: „So bietet Isebies Spbille eine
Handvoll Wasser aus dem unerschöpflichen Meere ihres Lebens und aus dem Meere
ihres Leidens und aus dem Meere ihrer Liebe und ihrer Seligkeiten, das hinauf bis
in die Ewigkeit rauscht.“
Wie hier Leid und Seligkeit eines Künstlerherzens sich auftun, so leuchteten in
dessen Gründe und Abgründe Walter Siegfried („Tino Moralt"), Wilh. Schäfer („Stauffer-
Bern“) und Bartsch („Schwammerl“-Schubert) mit vollendeter Seelenkunde hinein,
und stille Menschen, die sich aus Haß und Unrecht nach einem gleichgestimmten Gefährten
ihrer Innerlichkeit sehnen, die mögen bei den Lebenserinnerungen der Maler (Fechner,
Thoma, Steinhausen) einkehren, da finden sie die Einheit von Künstler und Denker
und Menschen, den Zug ins Große und Tiefe und Ewige. —
Mögen also Hesse und Ricarda Huch nicht an Keller, Isolde Kurz
nicht an C. F. Meyer, Frenssen nicht an Storm und Naabe, Keyserling
und Th. Mann nicht an Fontane in vollem Mae heranreichen, so nähern
sie sich ihnen doch, und wer unsere Zeitliteratur mißachtet, der verkennt
die Besten, die sich mühen, ihr Innerstes zu enthüllen und auszuprägen
zum Heile unserer ringenden, an vielen Schäden krankenden Gegenwart.
Sucht man Zeiterlöser unter den gegenwärtigen Dichtern vergebens, findet man
in ihnen Kinder einer verwickelten Zeit, deren Sphinxrätsel noch nicht gelöst ist, so muß
man doch zugestehen, daß die bedeutendsten unter ihnen mit ihrer Kunst eine Welt für
sich, in Gehalt und Stil, bilden. Und ist das nicht auch schon etwas Großes?
Wiss ensch.-volkstümliche Wie die erzählende Dichtung, so steht auch die wissen-
Prosa. — Heitschriften. schaftliche und volkstümliche Prosa auf nicht geringer
Höhe. Mit bewundernswertem Opfermut und tief-
dringendem Verständnis haben deutsche Verleger nicht nur neue Talente gefördert,
sondern auch billige Volksausgaben in Massen verbreitet, gehaltvolle Werke in gediegener
Ausstattung zu niedrigem Preise hergestellt und führende Zeitschriften gegründet und in
kritischen Lagen gehalten. Richtung gab wie keine zweite der „Kunstwart“, von dem
mannhaften, scharf das Echte vom Unechten scheidenden, wenn auch von starker Ein-
seitigkeit nicht freien Ferd. Avenarius allmählich zum Kulturwart emporgehoben;
die „Deutsche Rundschau“, „Monatsschriften“ verschiedener Art, „Türmer“, „Hoch-
land“, „Neue deutsche Rundschau“ u. v. a. dienten unermüdlich dem Ödeal, von ver-
schiedensten Standpunkten. So kam es, daß die ausländische Literatur zurückgedrängt
wurde, daß in deutschen Landen viel mehr nicht nur gelesen, sondern auch gekauft wird
als in früheren, freilich auch ärmeren, Zeiten. Der Kolportageschund findet erfolgreiche
Bekämpfungs freilich drängt er, wortlos, mit dem Kino sich desto heftiger wieder vor.
aDieses schädigt nicht minder die Dramatik, so daß die Bühne, die schon durch frivole und
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