Baukunst
Von Professor Or.Ing. Paul Klopfer, Weimar
Paul Wallot und sein Werk. Als Kaiser Wilhelm lI. im Jahre 1888 die Zügel
der Regierung ergriff, war das Reichstagshaus,
das Werk Paul Wallots, im Bau. Wallot hatte etwa als 40jähriger im Wettbewerb
mit den bedeutendsten der damaligen Architekten den Sieg davon getragen und den
ersten Preis erhalten.
Es ist gerechtfertigt, Wallot an den Eingang in eine neue Zeit der deutschen Baukunst
zu stellen.
Was begründet diese Behauptung?
ODer Reichstagsbau ist im Grunde einer Stilepoche eigen, die auf der Tradition der
Schule, der Akademie beruhend, die Formen aus der Bauwelt der Vergangenheit sucht;
vorzüglich renaissancistische Motive, hier und da gotisierend, ja spanische Anklänge im
einzelnen verratend, geben dem Ganzen, in den Massen wie im Detail, den Charakter
eines Werkes des Eklektizismus, etwa wie ihn Gottfried Semper in seinen Dresdner und
Wiener Bauten zeigte. Neu an dem Bau erschien der damaligen Zeit zunächst die Kuppel,
die zum ersten Male in dieser freien, Mla##n Art, in eigenartiger Umrißlinie — ohne Vor-
bild — Eisen und Glas zum Ausdruck brachte. Neu und fortschrittlich vor allem aber war
die Art, wie Wallot, besonders im Innern, die Flächen und Wände schmückte.!) Er suchte,
wie Gurlitt sagt, im Raume den wichtigsten Punkt, auf den unwillkürlich die Augen sich
richten, und schmückte von hier aus die Umgebung: nicht durch ein gleichmäßiges Um-
spinnen mit Formen, sondern durch entschiedenes Betonen des Wichtigen und durch eine
sichere Beherrschung der Flächen. Und noch eins: Wallot vermochte es, Stilformen aus
ganz verschiedenen Epochen nebeneinander im Sinne des architektonischen Zweckes zu
verwenden — ohne daß diese Formen sich gegenseitig beeinflußten oder störten. Damit
aber machte er den ersten Schritt zur Befreiung aus der traditionellen Form, darum
darf sein Werk mit Fug und Recht an der Schwelle zu einer neuen Zeit der Bau-
kunst stehen.
Daß diese neue Zeit nicht nach Jahr und Tag bestimmt werden kann, und daß sie
in keiner Beziehung zur Thronbesteigung unseres Kaisers stand, ist natürlich. Die Indi-
vidualität des einzelnen bricht sich zumal in der Baukunst nur schwer Bahn durch die
Schranken der Tradition. Selten wird zur befreienden Tat vor allem die große Bau-
1) Es muß hier vor allem von den Absichten Wallots gesprochen werden, nicht von der Ausführung, die
in vielem und wesentlichem den Absichten des Meisters nicht entspricht.
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