XI. Buch. Baukunst. 25
nun eine Reihe städtischer und Privathäuser gebaut, Hocheder schuf Schulen, die den
baprischbarockisierenden Charakter zeigen, mit dem Ausgang der neunziger Zahre brachten
Grässel und Fischer noch freiere Werke, dem Stilzwang ganz entbunden, den Stil
selbst zwingend, hervor, Maz Littmann zeigte in den Warenhäusern Tietz und Ober-
pollinger mehr behagliche als großstädtische, aber in jedem Falle neuempfundene und
neuzeitliche Werke, und Martin Dülfer hatte im Kaimsaal 1895 zum ersten Male ganz
neue, von Österreich her beeinflußte Formen gebracht, wie er überhaupt sich später zum
Outsider der Münchner Kunst auswuchs. Von den zäh am Uberkommenen festhaltenden
##chitekten verdient vor allem Maz Ostenrieder genannt zu werden, der im Grundriß
sehr gute — äußerlich sehr gotische Wohnhäuser baute, und Hauberrisser, von dem der
Erweiterungsbau des Münchener Nathauses stammt.
Die romantische Schule, wie sie Hauberrisser und Osten-
rieder in München vertraten, hatte ihren festesten Sitz in
Hannover, wobesonders im Kirchenbau die Schule Hases,
und zwar im Nahmen dee deutschen Backsteinbaues florierte. Diese Gotiker der hannover-
schen Schule hatten mit immer größerem Geschick gelernt, den katholischen Grundriß für
den protestantischen Kirchengebrauch einzurichten — JLohannes Otzen, der Biolet le
Ducs Kanon vorteilhaft zu nutzen wußte, entwickelte eine überaus fruchtbare Kirchen-
bautätigkeit. Ebenso G. L. Möckel, Hases Schüler, der in Norddeutschland etwa 70 Kir-
chen schuf. Gegen diese formal-romantische Richtung machte eine Bewegung Front, die
1887 von dem sächsischen Pastor Sulze eingeleitet worden war, und die von Gurlitt
lebhaft unterstützt wurde, der besonders durch sein großzügiges und in allem neue Blicke
öffnendes Werk über den Barockstil nachwies, zu welch charakteristischen Bauwerken es der
Protestantismus vor allem unter George Bähr (Frauenkirche in Dresden) gebracht hatte
und wie der moderne protestantische Kirchenbau an diesen Bauten anknüpfen könnte.
Oer rechte Kirchenerbauer des Protestantismus entstand nun auch in Otto March, der
seit 1891 klare Charaktere schuf, während gleichzeitig K. E. O. Fritsch eine bedeutende
Schrift über den Kirchenbau des Protestantismus herausgab. Der neue Formgedanke
im Kirchenbau will so bilden, wie die Kirche es bewußt oder unbewußt — eingestandener---
und uneingestandenermaßen — braucht. Im Barockzeitalter war für den protestantischen
Gedanken schon die rechte Form im Zentralbau gefunden: der dem Hauptteil des pro-
testantischen Gottesdienstes, der Predigt, am besten akustisch dienen kann. Ourch die
Vorschriften in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts (Eisenacher Regulativ), die
auf gotisch romantische Stimmungen zielten, wurde dieser Predigtgedanke verschleiert,
er konnte nur mit einem gewissen Naffinement in den katholischen Grundrissen verwirk-
licht werden, trat also als Form ganz in den Hintergrund. Mit der endlichen Befreiung
vom Zwange der Formschemas öffnete sich ein großes Feld für die Architekten des pro-
testantischen Kirchenbaues, das um die Jahrhundertwende besonders von den Dresdnern
Schilling und Gräbner, die eine Reihe prächtiger Kirchen, darunter auch die sog. Los-
von-Rom Kirchen, bauten, gepflegt wurde. Auch die katholische Kirche ging nun einen
neuen Weg: auch für sie wurden die Stilarten freigegeben. Hans Grässels Friedhofs-
Die romantische Schule
und der Kirchenbau.
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