XI. Buch. Baukunst. 31
auf der Ausstellung in Darmstadt. „Ein Ookument deutscher Kunst“ nannte sich diese
Ausstellung, die die Maler Hans Christiansen, Paul Bürck, Peter Behrens, die
Bildhauer Rudolf Bosselt und Ludwig Habich und die Architekten osef M. Olbrich
und Patriz Huber ins Leben riefen. Der Großherzog Ernst Ludwig von Hessen, ein
dem neuen Kunstschaffen ohne Voreingenommenheit zugänglicher Geist, der früher schon
Zimmer seines Palais durch die Engländer Baillie Scott und C. N. Ashbee sich hatte
einrichten lassen, unterstützte die jungen Künstler wahrhaft mäzenatisch: sie siedelten sich
in eigenen selbsterbauten Häusern auf der Mathildenhöhe an.1) Es ist wohl für das Ver-
stehen der ganzen Bewegung von damals wichtig, die einzelnen Künstler und ihr künst-
lerisches Glaubensbekenntnis näher zu betrachten. Darin waren sich alle einig: abseits
und ungehindert von der Tradition, befreit von der Enge der die Phantasie bindenden
und belastenden historischen Stile wollten sie schaffen: deutsche, neue Kunst schaffen,
herausgeboren aus dem frischerwachten Gefühl für Form und Farbe, Kulturzweck, Kon-
struktion und Material. Wenn man einen Begriff sich verschaffen will von der Begeiste-
rung, dem hohen Wollen und der überquellenden Schaffensfreude der jungen Kolonie,
dann braucht man nur die Darmstädter Kunstzeitschrift „Deutsche Kunst und Deko-
ration“ durchzublättern, die Alezxander Koch in jenen Zeiten ganz in den Oienst des
werdenden Stilgedankens stellte. Darmstadt wurde als „die neue werdende Kunststadt“
gepriesen, es setzte sich in scharfem Gegensatz zu München, dem es rund heraus sagte, daß
es den innigen Kontakt mit dem geistigen Leben und der kulturellen Entwicklung zu ver-
lieren begänne, „wobei es sich allerdings frage, ob es diesen Kontakt jemals gehabt habe“.
Ein Zubilieren also in froher Siegesgewißheit schallt nun hinüber auf das renaissancistisch
und barockisierend in den Tag bineinlebende München! Biel verwandter dünkte dem
jungen Darmstadt dagegen Berlin, das Otto Eckmann, August Endell und später
Bruno Paul holte, dann auch Dresden, das den „Ur- und Oberbayer“ Karl Groß und
den allzufrüh verstorbenen August Hudler an seine Akademie und Kunstgewerbeschule
berief, und Stuttgart, wohin einige der besten aus den „Vereinigten Werkstätten“, vor
allem Bernhard Pankok von München wegzogen. Genug Grund nach alledem, um
in Darmstadt über das traditionsphiliströse München zu triumphieren.
Hie Harmstädter Künstler. Die Darmstädter Künstler waren bis auf Patriz
Huber, den Kunstgewerbler, und Josef M. Olbrich,
den Architekten, Maler und Bildhauer. Oer erste Schritt zum neuen Stil ging
in Deutschland also von den Malern aus, der Sinn für die Fläche und ihre Füllung,
wie für die Linie als Gefühls- und Kraftausdruck einerseits, die Entwicklung des
Pariser Kunstgewerbes die Einflüsse Van de Beldes, Berlages, Otto Wagners andrer-
) Vgl. auch: Peter Behrens, von Fr. Hoeber, München 1913; Deutsche Kunst und Dekoration,
Frritz Koch, Darmstadt 1902; J. Meyer-Gräfe, Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst, Stutt-
gart 1910; C. Gurlitt, Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts.
) Bei Einleitung der Bewegung im modernen Kunstgewerbe wirkten in München folgende namhafte
Künstler: Berlepsch, Eckmann, Obrist, Riemerschmid, Behrens, Pankok, Bruno Paul, Krüger, Bertuch, Dülfer,
Fiischer, Schmuz-Bandiß, B. von Heider, Erler, Groß. 1901—1902 verlor München 10 dieser Namen an
Berlin, Darmstadt, Stuttgart, Dresden, Magdeburg.
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