XI. Buch. Baukunst. 35
in einer anregenden Schrift auf die Notwendigkeit einer Reform der deutschen Bürger-
wohnung hin. Außerhalb des Hauses setzte, um 1903, die Arbeit des Heimatschutzes ein,
die zuerst in Sachsen durch Karl Schmidt organisiert und ausgebaut wurdei); die wert-
vollen Denkmäler —bis zum einfachen Bürgerhause, wenn es den Charakter seiner Zeit
trug — verzeichnete Tornelius Gurlitt in seinen Inventarisationen, die nach und
nach sich über ganz Deutschland ausbreiteten, endlich halfen die teils von Städten, teils
von Staaten eingerichteten Beratungsstellen praktisch mit, im Volke und vor allem
im selbständig bauenden Volke, einen einfachen klaren, zunächst auf den Wahrheiten von
Material und Konstruktion basierenden Geschmack zu wecken und großzuziehen.
Der Hauptwert solcher Bildungsbestrebungen liegt aber doch immer noch in der
Erziehung des Nachwuchses. Und bier setzen die Schulen ein.
Hie Bauschule. Die Bauschule vor allem hat die Aufgabe übernommen, der
Verschandelung in der kleinen Stadt und auf dem Lande durch
Heranbildung junger Kräfte entgegenzutreten. Es mag sein, daß dieses A#rbeitsgebiet
die Baukunst — im Sinne der Kunst begriffen — zum geringsten angeht, die Wohn-
Häuser sind schließlich in erster Linie Zweckbauten, während als Zdeal für die Architektur
ein Raumschaffen gelten kann, das den wirtschaftlich materiellen Zweck am wenigsten
in seiner Organisation achtet, ja ihn gar nicht haben will und brauchen kann — ich erinnere
an dorische Tempel, gotische Dome.
Andererseits ist die Bautechnik von der Bauästhetik gar nicht zu trennen und es
dürfen als Kunstwerke schon Bauten angesprochen werden, die die ästhetischen Gesetze
des Rhythmus, der Massen- und Flächenverhältnisse und der Symmetrie in Einklang zu
bringen vermögen eben mit jenen Gesetzen, die die Bauaufgabe ihrerseits in wirtschaft-
licher, konstruktiver und baustofflicher Beziehung stellt.
Den Wert des harmonischen Zusammenfügens dieser beiden Forderungen hat die
Bauschule erst seit etwa 1905 erkannt. Sie geht nun — während sie früher nur die tech-
nische Seite des Unterrichts als Endzweck ansah, und dem Schüler das ästhetische GSewand
für den Hauskörper gleichsam fertig zum Uberstülpen zureichte, darauf aus, das Werden
des Hauses bis in sein Dußerstes hinein dem Schüler zum Bewußtsein zu bringen, und
zwar so, daß je nach dem Sitz der Schule die ortsübliche Bauweise den Charakter für alles
Entwerfen abgibt. So unterstützt sie zugleich die Arbeit des Heimatschutzes und weist die
Schönheiten der Heimat zunächst am Bürger- und Bauernhaus, dann aber auch an llei-
neren kommunalen und staatlichen Gebäuden, endlich am Industriebau und zuletzt auch
am Stadtbau nach. «
Hie technische Hochschule. Die Hochschule zieht den Kreis ihrer Erziehunge-
tätigkeit viel weiter. Sie wirkt nicht zentralisierend,
sondern universell. Das ganze große Gebiet der Baukunst nach Tiefe und Höhe des
ästhetischen Umfangs, wie auch der innewohnenden wirtschaftlich sozialen Aufgabe ist
1) Sachsen balanciert gegenwärtig mit einem Etat von 80 000 Mk.
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