Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
XI. Buch. Baukunst. 37 
  
sei für alles dem praktischen, wie dem ästhetischen Gemeinwohl dienende Bauen. R. Bau- 
meister (Karlsruhe) ) hatte schon 1876 in seiner Schrift über Stadterweiterungen der 
Frage Bedeutung abgewonnen, JI. Stübben, Genzmer, Goecke, Gurlitt, Henrici, 
und in neuester Zeit A. E. Brinkmann hatten die Frage technisch, geschichtlich und künst- 
lerisch weiterbehandelt, Eberstadt suchte ihre Lösungen auf dem Gebiete der sozialen 
Fürsorge, Damaschke arbeitete mit großem Erfolge auf dem verwandten Gebiete der 
Bodenreform, Pettenkofer endlich beleuchtete sie vom Standpunkt der Hygiene aus, 
und die Städteausstellung in Oresden brachte schon 1904 den Beleg dafür, welch 
ungeheurer Wert in der Lösung all der großen Fragen verborgen ist, die der Stadtbau 
in sich schließt. Ihm dienten als Grundlagen einmal die städtische Wohnungsfrage unter 
Berücksichtigung sozialer und gewerblicher Verhältnisse, dann das städtische Verkehrswesen 
in Beziehung auf Straßen, Eisenbahnen und Wasserwege und endlich die öffentlichen Bau- 
anlagen in ihrem Zusammenhange mit dem Stadtplan und ihrem Einfluß auf denselben. 
Daß der Stadtbau als Umbau und Anbau an bestehendes Alte, daß er in Fragen der Er- 
haltung der Denkmäler, der alten Straßenbilder und Gebäude eingreifen muß, wurde nun 
in anderem Sinne erkannt als zu jener Zeit, da die Freilegung unserer großen Dome auf 
dem Arbeitsprogramm der Baukunft stand. Und der Wettbewerb für die Umbauung 
des Ulmer Münsters, 1906, hbat gezeigt, daß die Rücksicht auf Gefühlswerte es doch 
zuläßt, praktisch wirtschaftliche Fragen mit monumental architektonischen in einem zu 
lösen. Der achte Tag für Denkmalpflege, 1907, ergab in dieser Hinsicht bedeutende 
Beschlüsse. Mehr und mehr komme man zu der Einsicht, erklärte Stübben, daß es falsch 
ist, die alten Mauern rücksichtslos abzubrechen, die alten Grundrisse durch Begradigung 
zu stören, die schönen, geschlossenen Straßenbilder, die malerischen Krümmungen und 
Unregelmäßigkeiten mit ihren schönen perspektivischen Wirkungen im Interesse eines 
meist zu hoch veranschlagten Verkehrs zu beseitigen. Bei neuen Forderungen soll man 
verständig abwägen, und unter Umständen sich mit einem llugen Kompromiß zufrieden- 
geben. Bei Eingriffen soll man schonend vorgehen und sich dem Geiste des Ursprünglichen 
anpassen, nicht aber Neues im alten Stil anfügen und künstlich Altertum vortäuschen. 
Dem Alten soll sich das Neue ohne Härte und ohne Mißklang anpassen, aber es sollne 
sein. 
Daß dieses Aeue, welches das Straßenbild bestimmen soll, vom Architekten in 
erster Linie, in zweiter erst vom Tiefbauingenieur geplant werden muß, erschien damals 
schon selbstverständlich. Welchen Umfang diese Arbeit nehmen konnte, bewies 1910 die 
Städtebauausstellung in Berlin, die von Otto March auf Grund eines umfangreichen 
Wettbewerbs geschaffen worden war. Dieser Wettbewerb sollte die Möglichkeit erörtern, 
ob und was für ein Weg zu finden sei, um bei einer durch Eingemeindung zu schaffenden 
Vergrößerung Berlins alle in Frage kommenden städtebaulichen Interessen zu berück- 
sichtigen — mit anderen Worten: Es sollte für ein Groß-Berlin ein neuer Stadtplan 
gefunden werden. 
In engem Annschluß an die künstlerischen Fragen des Stadtbaues stehen die so- 
zialen, besonders was die Erweiterung der Städte angeht. Stuttgart versuchte um 
h Vgl. Abschnitt Städtebau. (Technische Wissenschaften VI.) 
99 1569
	        
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