XI. Buch. Baukunst. q 39
das Wollen der neuen Zeit, das Streben nach Klarheit und Gesundheit zum Aus-
druck bringen, wenn auch die dekorativen Mittel im Nahmen der akademischen Tra-
dition sich bewegen. Aber gerade in diesen Einzelheiten macht sich Hoffmanns künst-
lerische Individualität besonders bemerkbar. Das Hauptgewicht seiner Arbeiten beruht
auf einer in sich geschlossenen Einfachheit, die auf der andern Seite bestes Material
braucht — und umgekehrt — das Material bedarf genauest abgewogener, in sich be-
zwungener Formen. Oie Profile an den Gesimsen, die bildhauerischen Schmuckmittel
sind bis ins lleinste durchdacht — das intellektuelle Abwägen herrscht über dem impulsiven
Schaffen entschieden vor. Schlagende Lösungen, Hinweise auf Neuland gibt er nicht
Damit steht er mit dem Berliner Stadtbild, soweit es Schul- und Verwaltungsgebäude
angeht, in einem Gegensatz zum Süden, wo in München Karl Hocheder, in Stuttgart
Theodor Fischer Schulbauten geschaffen haben, die besonders durch die Verteilung
der Massen, die renaissancistisch anmutende Bewegung in den Gruppen malerischen Reiz
bieten. So konstruierte sich schon um die Jahrhundertwende zwischen dem Norden, soweit
es durch Berlin vertreten wurde, und dem Süden ein Gegensatz: dort das starr vertikal
.„Strebende, hier das behaglich Breitgelagerte. Wie aber auf der einen Seite das Strenge
nicht zum Philiströsen erfror, so artete andrerseits das Bequeme nicht zum Saloppen und
Wildromantischen aus. Franz Brautzky's Versuche in der letzten Richtung, die von
dem herzlichsten Nachgehen altdeutschen Haus- und Stadtbaues beeinflußt waren, blieben
ziemlich allein.
Der gewaltige Aufschwung in Handel und Industrie durfte im
Privatbau viel freiere und kühnere Bilder für sein Wollen
und sein Können finden, als die soziale Fürsorge im Rahmen einer sparsamen Stadt-
verwaltung je vermocht hätte. Messels Wertheimhaus brach der privaten Bau-
tätigkeit in der Großstadt ungeahnte Bahnen — die Uberwindung der Stockwerkstren-
nungen, die strickte Durchführung des Raumes in gewaltige Höhen, die seine Ubersicht-
lichkeit und damit den in ihm lebendigen Betrieb erst ermöglichte, ließ vor allem die
Architekten Berlins — dann aber auch Düsseldorfs, der Hansestädte, Mannheims, Frank-
furts, ganz neue Bauwerke schaffen, die mit dem „Geschäftshaus“ von früher nichts
zu tun hatten. Das Konglomerat aus Wohn- und Geschäftsräumen, das allzu deutlich
den ungleichen Kampf zeigte zwischen der in Geschossen wohnenden Tradition und dem
steil strebenden, Ubersicht verlangenden Raumgedanken, verschwand mehr und mehr
aus dem Innern der Großstädte; Berlin konzentrierte den Kleinhandel in die mächtigen
Kaufhäuser, Leipzig organisierte in der von früher her geübten Weise der Ourchgänge
durch die Häuserblocks eine ganz neue Schöpfung von Ladenhäusern, in die sich Meß-
paläste einschoben, und die Städte des südlichen Deutschlands, München und besonders
Stuttgart, suchten, wenngleich sie die einheimische Horizontale in Geschossen und Bal-
konen auch beibehielten, und der breiten Lagerung der Baufronten gern weiterhin
Rechnung trugen, doch wie in Berlin der Einheit des Zweckes entsprechend ebenfalls
auf großräumige Anlagen zuzukommen.
Es ist deutlich zu beobachten, wie in Mitteldeutschland diese zwei entschiedenen Rich-
Das Warenhaus.
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