XI. Buch. Malerei und Plastik. 4
Lichtmalerei. Man gewann durch dieses farbige Licht die Erkenntnis, daß kein
Ding eine Farbe „an und für sich“ besitze, sondern nur in wechsel-
seitiger Abhängigkeit von andern Farbwerten. Die scheinbar realistische Farbigkeit in der
berrschenden Historienmalerei mußte deshalb allmählich als unwahr erkannt werden.
Die Farbe hatte ihre Rolle ausgespielt, das Licht triumphierte. Damit vollzog sich
gleichzeitig ein Umschwung in der Bewertung, der künstlerischen Vorwürfe. Bit jenen
strahlenden, glühenden, berauschenden Farben war über die deutsche Malerei noch-
mals die ganze Gewalt der Geschichte, die Deutschland seit Anfang des 19. Jahr-
hunderts beherrschte, gekommen, und hatte die Schilderung der Großtaten der
Menschen wieder völlig in den Vordergrund geschoben. Als dann in Deutschland
nicht nur Weltgeschichte gelehrt, sondern auch gemacht wurde, da stand die realistische
Gedankenmalerei im Zenit. Der Gegenschlag war unvermeidlich. Oie Geschichts-
wissenschaft wurde von der fast gleichzeitig emporgewachsenen Naturwissenschaft ab-
gelöst, die logische Folgerung von dem beweisenden Experiment beiseitegedrängt.
Dies brachte zuerst, wie bemerkt, der für wahr gehaltenen Farbe den Untergang
und bewies, daß es nur ein farbiges Licht gäbe, welches alle Farbwerte in Relation
setze. Diese Erfahrung, dies Experiment war aber nur vor der Sonne selbst, im Frei-
raum zu machen, denn in einem geschlossenen Naum ist, selbst bei den größten Licht-
öffnungen, die Lichtkraft nicht entfernt so stark und so mannigfach, wie in der bewegten
Atmosphäre der Landschaft. Damit war gleichzeitig die Malerei der heimischen land-
schaftlichen Natur zur Oberherrschaft gelangt.
Im Jahre 1860 war von einem deutschen Maler (Lenbach) in IStalien, der, wie man
schrieb, „nackte photographische Sonnenschein“ gemalt worden, und in den siebziger Jahren
sagte ein österreichischer Landschafter, ihn reize nichts mehr als das starke Licht des
strahlenden Sonnenscheins, die Alten hätten nur den Begriff Licht aus der Natur ge-
nommen, alles andere aber aus sich selbst geschaffen. In Leben und Kunst war also der
Boden für eine naturalistische Malerei vorbereitet. Es bedurfte jetzt nur noch der ent-
scheidenden Tat, d. h. aus dem von einem gleichmäßigen Licht erfüllten Atelier in die von
tausend Reflexen durchschwirrte Luft des Freiraums hinauszutreten. Dies geschah im
offenen Kampfe gegen die Atelier-Tradition in Deutschland in den ersten achtziger Zahren
unter dem Einfluß der bereits seit der Mitte des 19. Zahrhunderts solchen Problemen
nachgehenden, französischen Landschaftsmalerei. Mittels der wasserreichen, leicht dunstigen
und tonreichen Luft Hollands erfaßten die deutschen Maler endgültig das Prinzip der
seit den siebziger Zahren zunächst als Freilichtmalerei, dann, spöttisch, als Impressionis-
mus entwickelten Malerei des flimmernden Lichtes in der durchleuchteten Atmosphäre,
die alles Tun und Treiben des Menschen umgibt.
Deutschland war in jenen Zahren an
einem Wendepunkt angelangt, Kaiser
Wilhelm II. zur Regierung gekommen. MNit diesem Monarchen begann das Deutsche Reich
erst wirklich in den Genuß der politischen Errungenschaften von 1870—1871 einzutreten.
Der junge Herrscher brachte den Willen mit, eine Friedenszeit in Waffen heraufzuführen.
Kaiser Wilhelm II.— Impressionismus.
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