Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
126 Astronomie, Astrophysik, Geodaͤsie. X. Buch. 
scheidender Vorgang geworden. Bald nach 1888 wurden dort für etwa 50 Sterne 
die Radialgeschwindigkeiten mit einer bis dahin nicht erreichten Genauigkeit bestimmt. 
Sehr bald erkannte Vogel auch in periodisch veränderlichen Richtungen und 
Größen dieser Geschwindigkeiten, wie sie sich in einzelnen Spektralerscheinungen 
bei den mit Hilfe der Dauerphotographie verfeinerten Messungen offenbarten, deut- 
liche Nachweise dafür, daß in gewissen, völlig punktartig leuchtenden Sternen ganze 
Sposteme, z. B. Doppelsternspsteme, enthalten sind, für deren gesonderte Wahrneh- 
mung unsere stärksten teleskopischen Vergrößerungen versagen, während wir aus den 
spektralen Zerlegungen ihres Lichtes in den Radialgeschwindigkeiten deutlich erkenmen, 
daß dort zwei, mit gleicher oder auch mit verschiedener Helligkeit leuchtende Sterne sich 
um den gemeinsamen Schwerpunkt bewegen, so daß in periodisch wiederkehrenden Zei- 
ten die Radialgeschwindigkeit des einen Sternes nach uns hin, des anderen zugleich 
von uns hinweg gerichtet ist. 
Diese Wahrnehmungen führten weiterhin zu einer ganzen Reihe von Entdeckungen 
sogenannter spektroskopischer Doppelsterne. Die Umlaufszeiten in diesen So- 
stemen von zwei einander sehr nahen Sonnen sind vielfach sehr lein. Wir kennen jetzt 
schon solche Bahnen mit Umlaufszeiten von wenigen Stunden. Vogel aber hatte den 
glücklichen Gedanken, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß bei solchen engen Bahnen 
großer leuchtender Sonnen sehr leicht periodische Verfinsterungen oder Bedeckungen ein- 
treten können, durch welche die Gesamtwirkung des Lichtes, welches das System nach uns 
bin sendet, periodisch veränderlich gemacht werden kann, so daß der Sternpunkt, in welchem 
das ganze System für uns zusammengedrängt erscheint, ein sogenannter „Veränderlicher 
Stern“ wird. Eine glänzende Bestätigung erfuhr dieser Gedanke dadurch, daß die schon 
seit mehr als zwei Jahrhunderten beobachtete periodische Helligkeitsänderung des Sternes 
Algol im Perseus, für deren eigenartigen Verlauf man bis dahin keine sichere und be- 
friedigende Erklärung gefunden hatte, auf einmal völlig verständlich wurde. Vogel 
wies nämlich nach, daß Algol ein spektroskopischer Doppelstern ist, und daß der periodische 
Verlauf seines Leuchtens völlig übereinstimmt mit der Periodizität des Verlaufes der 
im Spektrum gemessenen Radialgeschwindigkeiten innerhalb der Doppelsternbahn, und 
zwar sowohl in Betreff der Umlaufszeit als in Betreff der Zeitpunkte der verschiedenen 
Lichtphasen. Die geringste Lichtstärke des Sternpunktes tritt immer ein, so oft die eine 
der beiden Sonnen des in diesem Punkt enthaltenen Syfstems die andere teilweise für 
uns bedeckt, wobei die Geschwindigkeiten beider Sonnen rechtwinkelig verlaufen müssen 
zu der nach uns gewendeten Nichtung, so daß dann die periodischen Werte der Radial- 
geschwindigkeiten nach uns hin oder von uns hinweg verschwindend llein werden. 
Gänz ährnliche Erscheinungen periodischer Lichtveränderungen von Sternen, die 
sich bei den Messungen ihrer Radialgeschwindigkeiten als spektroskopische Doppelsterne 
erweisen, sind weiterhin schon in zahlreichen Fällen konstatiert worden. 
Das ganze Gebiet dieser Radialgeschwindigkeitsmessungen von Sternen ist in der 
letzten Zeit in besonders großem Stile von den nordamerikanischen Astronomen, ins- 
besondere von Campbell auf dem Leick-Observatory kultiviert worden. Das Potsdamer 
Observatorium hatte der weiteren Entwickelung dieses ganzen Messungsgebietes auch 
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