XI. Buch. Das Kunstgewerbe. 69
und ließ Erkereinbauten, Ofenbänke und Balustraden, die in der vorhergegangenen
altdeutschen Epoche alle Herzen entzückt hatten, getreulich wieder aufmarschieren. Nur
hatte man sie ihrer historischen Zierate entkleidet und dafür mit Schnörkeln und stili-
sierten Blumen ausstaffiert. Einem architektonisch geschulten Auge mußten die Maß-
stabslosigkeit, die Unruhe und Willkür, die diese Gebilde zur Schau trugen, unerträglich
erscheinen, doch war nicht zu verkennen, daß sie bis ins letzte Detail mit hingebender Liebe
durchgebildet waren, und man konnte dem Temperament und dem Zdealismus der
schaffenden Künstler seine Bewunderung nicht versagen. Eines mußte freilich sofort
ins Auge fallen, daß nämlich das Neuartige nicht durch eine innere — etwa eine tech-
nische — Notwendigkeit begründet, sondern lediglich eine subjektive Willensäußerung
war. Auch beschränkte sich die neue Dekorationsweise fast ausschließlich auf die Fläche-
als solche und war auch dort, wo sie hätte körperlich sein müssen, sichtbar nur eine Über-
tragung aus dieser. Es konnte das nicht Wunder nehmen, da ja die Entwerfenden vor-
wiegend der Zunft der Maler angehörten, was schließlich auch in der Bevorzugung
von Technikern, die sich für eine Flächendekoration besonders eigneten, seinen Ausdruck
fand. So verwandte man für die Ausschmückung von Möbeln und Paneelen viel In-
tarsien, und man führte selbst große dekorative Kompositionen in dieser Technik aus.
An die Stelle der Wandbilder traten Teppiche mit landschaftlichen und figürlichen
Darstellungen, und die Butzenscheiben der vorangegangenen altdeutschen Epoche wurden
durch Kompositionen von farbigen Gläsern ersetzt. Ganz besonders aber blühte die
Flächendekoration auf den Gebieten, wo sie eigentlich zu Hause war, im Stoffmuster,
in der Weberei und Stickerei wie in der Graphik und Buchkunst. Hier kam neben den
Formen auch die Farbe zu ihrem Recht, vor allem aber lag hier die Technik dem Maler
näher als bei anderen Zweigen des Handwerks. Hier war auch keine solche Kluft zwischen
Entwerfendem und Ausführendem. Es bestand zwischen diesen beiden vielmehr ein
enger Zusammenhang, da sich die Zeichnung fast direkt mit der Ausführung deckte und
ein Beurteilen der endgültigen Wirkung dem Entwerfenden möglich war. Diese Gebiete
sind denn auch am ersten zu einer gewissen Reife und Vervollkommnung gelangt. Auf
allen anderen führte die Flächendekoration eine Besserung zunächst nicht herbei, sie blieb
an der Oberfläche haften und suchte diese nach ihren Zdeen umzugestalten.
Da die Art des Dekors streng ornamentale Formen geflissentlich vermied und sich
naturalistischer, zum mindesten aber ziemlich freier Kompositionen bediente, so konnten
ihr die früher gebräuchlichen einfachen Materialien nicht mehr genügen,
und sie suchte deren Auswahl nach allen Richtungen zu vergrößern. Der differenzierte
Geschmack des Malers hielt Umschau nach neuen Ausdrucksmitteln. Indem er den Kreis
der alten zu erweitern suchte, brachte er zugleich neue Ideen für die Oberflächenbehand-
lung und führte damit Schönheitswerte ein, an die man bis dahin nicht gedacht hatte.
Der Sinn für die Schönheit und Behandlung des Materials an sich war schließlich die
Quelle für eine Vertiefung auch nach der technischen Seite hin. Er kam zunächst denjenigen
Gebieten zugute, für die er einen ausschlaggebenden Wert darstellte. So der Keramik,
die sich bisher fast ausschließlich mit der Nachahmung von Prunkstücken älterer Stil-
perioden befaßt hatte. Durch das Studium japanischer und chinesischer Vorbilder begann
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