XI. Buch. Das Kunstgewerbe. 75
der Tradition niemals verlassen hatten, die dieser innewohnende Stärke mit llarem
Bewußtsein benutzten. Die Gedanken dieser Ausstellung waren in ihrem Wesen so ge-
sund und damit lebensfähig und modern, daß sie der Werkbund, dessen Entstehung also
recht eigentlich auf die Münchener Künstlergruppen zurückging, unverändert als Pro-
gramm übernehmen konnte.
Der Künstler war in den Dienst der Industrie getreten. Das bedeutete die Anerken-
nung der Tatsache, daß der größere Teil des Bedarfs nicht mehr durch die Produktion
des einstigen Handwerks gedeckt wurde, d. h. daß die führende Rolle und damit die Haupt-
unterstützung der fabrikmäßigen Herstellung zukam. Dem Handwerk verblieben immerhin
noch eine Reihe von Aufgaben, die die Industrie unmöglich übernehmen konnte. So
ließen sich die Wirkungsgebiete dieser beiden Uar gegeneinander abgrenzen. Im wesent-
lichen gehörte das Einzelstlüück dem Handwerk, die Massenware der Industrie. Hoch
war es natürlich nicht zu vermeiden, daß in Einzelfällen ein Ubergreifen von dem einen
auf das andere stattfand.
Allerdings boten sich dem Zusammenarbeiten und damit einer Beeinflussung der
Indugtrie stellenweise große Schwierigkeiten. Die Lage des Marktes, besonders aber die
Kücksicht auf die exotischen Absatzgebiette mußten für einzelne Zweige eine Annäherungs--
möglichkeit grundsätzlich ausschließen.
So traf das Streben nach Vereinfachung der Form oft auf einen energischen Wider--
stand, da der Geschmack der Konsumenten den Reichtum an nichtssagenden Formen
in vielen Fällen verlangte. Dagegen fanden bei der Induptrie, die ihre Absatzgebiete
im Inlande hatte, die neuen Bestrebungen wegen ihrer vernünftigen Gedanken eine
erfreuliche Unterstützung. Ja, die Industrie begriff, daß für sie mit einer Verfeinerung
der Fabrikate nach der künstlerischen Seite hin ein wesentlicher Vorteil verbunden war,
und daß sie sich eine bessere und vornehmere Form der Reklame nicht wohl wünschen
konnte.
Weltausstellung Brüssel 1910. Sollte nun aber die Stellung des deutschen
Künstlers im wirtschaftlichen Leben erhalten
und weiter ausgebaut werden, so mußte er notgedrungen trachten, auch an die Ezport-
gebiete heranzukommen. Denn diese nahmen einen großen Prozentsatz der genannten
Fabrikation ein. Dazu war es aber nötig, auch im Auslande Verständnis zu erwecken.
Der Werkbund betrachtete es als seine vornehmste Aufgabe, dieses Ziel zu erreichen
und ergriff die nächste sich bietende Gelegenheit, den Wert seiner Bestrebungen vor dem
Auslande darzutun.
Für die Weltausstellung in Brüssel im Zahre 1910 wurde dank dem Ver-
ständnis der deutschen Ausstellungsleitung der Werkbund zur Mitarbeit herangezogen.
Daßder Entwurf der ganzen Anlage- und der Ausstellungsgebäude an Künstler übertragen
wurde, war auch schon früher üblich gewesen; jetzt fiel diesen zugleich eine Mitarbeit
an der Schaustellung selbst zu, indem die Ausstattung der einzelnen Käume, der Schränke
und Bitrinen mit der gesamten Detaillierung bis zur Schrift auf dem Firmenschild, in
ihre Hände gelegt wurde. So konnte ein gemeinsamer Grundgedanke die Ausstellung
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