82 Deutsche Musik. XI. Buch.
sogar des Wortes. Soll derlei spielerisches Musizieren nicht zum Schaden werden, so
muß es sich in einer höheren Einheit auflösen und vom Strom empfundener Welodie
getragen werden. Dies geschieht aber hier nicht. Der Tonsatz schillert in allen Farben,
spielt mit tausend Witzen, Aufmerksamkeit und Verstand werden fortwährend gefesselt,
aber das Herz empfängt wenig Nahrung, und schließlich geht man mit einem wahren
Hunger nach Gefühlstönen davon.
Dies Berhältnis bleibt auch in Straußens andern Opernwerken das Topische: ein
Herantreten von außen an die Sache, ein vielfach sehr anziehendes Schildern und Aus-
malen, die Entfaltung der stupendesten aufs feinste durchgebildeten Orchestertechnik und
dabei der Mangel einer wirklich großen Erfindung, die ja doch immer nur im Melodischen
wurzeln kann. Es ist möglich, daß Strauß sich der #rt seiner Begabung ganz bewußt
ist, und daß er sich gerade deshalb in den letzten Jahren fast ausschließlich der Oper zu-
gewandt hat: da das innere Erlebnis in ihm nicht mehr stark genug ist, um reine Orchester-
werke zu schaffen, so hält er sich an Operndichtungen, an denen seine Phantasie sich empor-
ranken kann, wie der Efeu am Gemäuer.
1905 folgte der „Feuersnot“ Oskar Wildes „Salome“, und zwar hatte Strauß
das Stück, das doch als gesprochenes Drama gedacht und in seiner Wirkung genau be-
rechnet war, und das in dieser Form auch einen feinen, kränklichen Reiz ausübte, unter
Auslassung ganz weniger Stellen mit Haut und Haaren in Mufsik gesetzt. Das geht
nun nicht gut an, denn was dem Lied recht ist, braucht dem Drama noch längst nicht
billig zu sein, das Format entscheidet hier. Und in der Tat hat die szenische Wirkung
der „Salome“" durch Straußens Musik nach meiner Meinung keine Erhöhung erfahren,
sondern es ist ihr Abbruch geschehen.
Die Wahl gerade dieses Stoffes kann befremden, denn eine Dichtung, welche die
perversen Lüste einer hysterischen Dirne schildert, wird unter den Kunstwerken eines
großen Kulturvolkes niemals die Stellung einnehmen, wie eine, die uns etwa Hans
Sachsens edle Gestalt vor Augen stellt oder Parsifals Erweckung aus Tumbbeit zu wissendem
Mitleid schildert. Strauß mußte sich sagen, daß seine „Salome"“ zwar vielleicht einen
großen augenblicklichen Erfolg haben, daß die Dauer ihrer Schätzung aber durch den
Inhalt stark verkürzt werden würde. DOieser Erfolg ist denn auch nicht ausgeblieben.
Das reichfarbige Gewand, das Strauß der Salome umgehängt hat, übt auf viele einen
geradezu blendenden und berauschenden Einfluß aus, und das Stück ist denn auch in den
überschwenglichsten Ausdrücken gepriesen worden. Mich hat das Werk zwar interessiert,
wie alles, was Strauß schreibt, sonst aber ganz kühl gelassen; denn es widerstrebt mir aufs
dußerste, daß die einzige Kunst, die uns das Gefühl in reinster Form darbietet, die einzige,
die Gefühl überhaupt gestalten kann, dazu mißbraucht wird, im wesentlichen illustrativ zu
wirken. Hierzu kommt, daß der Komponist da, wo er empfindungsmäßig wirken will
oder Melodien singt, sich auf ein Miveau begibt, wo man ihn lieber nicht gesehen hätte.
Ernster, einheitlicher, geschlossener als die „Salome“ ist die „Elektra“ (1909), bei
der Strauß dasselbe Verfahren, wie bei der Salome eingeschlagen hat, indem er Hugo
von Hofmannsthals Paraphrase der Sophokleischen Tragödie ohne weiteres mit Musik
überzog. Das Ganze macht durch den Willen zur Bertiefung einen weit sompathischeren
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