XI. Buch. Oeutsche Musik. 83
Eindruck als die „Salome“, aber die ungeheuren Ubertreibungen, das fast unablässige,
die Singstimme verschlingende Orchestergetöse, die grellen Dissonanzen, der ganze Natu-
ralismus, der Geräusche in aller Treue durch Instrumente nachahmen möchte, wirken
doch schließlich abstoßend; dafür können einige Stellen, wo Strauß durch die von ihm
angewandten Mittel sehr merkwürdige, in dieser Art noch nie dagewesene Wirkungen
erzielt, wie bei Orestes Heimkehr und ganz besonders in der Szene, wo Orest ins Haus.
tritt, um Klptämnestra zu erschlagen, während Elektra vor der Türe in irrer Erregung
auf und ab läuft, nicht entschädigen.
Wesentlich anders geartet ist der „Rosenkavalier" (1911). Hugo von Hofmanns-
thal hat hier eine altwiener Geschichte mit mancherlei Bedenklichkeiten zu einer Komödie
mit Musik dramatisiert, in einem Stil, der zwischen Wiener Mundart und Schriftdeutsch
bin und her schwankt. Als Stück finde ich diese Komödie nicht gelungen, der dürftige
Vorwurf ist mit Mühe zu drei Akten ausgereckt, ermüdet durch manche Längen, und
stößt durch manche Roheiten ab, aber die Musik ist in vieler Beziehung merkwürdig.
Sie darf vielleicht als das stilistisch Bunteste bezeichnet werden, was Strauß überhaupt
geschrieben hat, denn vom Wiener Walzer, der durch besondere harmonische Zutaten
gewürzt wird, bis zum sentimentalen Lied und glänzenden Orchesterstück enthält das
Werk alle erdenklichen Ausdrucksmittel, die aber nicht, wie z. B. in der Zauberflöte,
unter einen gemeinschaftlichen Generalnenner gebracht sind, sondern getrennt neben-
einanderstehen. Trotzdem finden sich gerade in diesem Werk Momente, aus denen man
schließen könnte, daß Strauß aus dem allzu Artistischen herauslenken möchte in die Ge-
biete gefühlsmäßiger Musik, und einiges ist da, das zum Besten gehört, was er über-
baupt geschaffen hat, wie das von Ubermut strudelnde Vorspiel zum dritten Akt, ein
wahres orchestrales Prachtstück und die unerhört neue und eigenartige Musik beim Auf-
tritt des Rosenkavaliers.
ODaß die Erwartungen, die man an den „Nosenkavalier“ geknüpft hatte, sich nicht
ohne weiteres erfüllen sollten, zeigte Strauß in seiner „Ariadne auf Nazos“ (1912).
Oer unermühliche Experimentator arbeitet hier mit einem ziemlich Ueinen Orchester,
dem auch Harmonium und Klavier einverleibt sind und erzielt damit eine Reihe sehr
eigentümlicher Klangeffekte. Leider ist die Oper ein Anhang zu Hugo von Hofmanns-
thals Bearbeitung des Molièreschen „Der Bürger als Edelmann“ und von diesem Stück,
das die Aufmerksamkeit des Publikums ungebührlich abspannt, nicht zu trennen. So
wird es sehr zweifelhaft, ob die „Ariadne“ ihr Leben lange mag fristen können.
Aber, wie schon bemerkt, liegt Straußens eigentliche Stärke nicht auf dem Gebiet
der Oper, ebensowenig wie die von Hugo Wolf, der sich ja auch am Bühnenwerk versucht
und uns in seinem „Corregidor“ (1896) (Dichtung von Rosa Mayreder nach Alarcon).
ein köstliches, heiteres Spiel geschenkt hat. Wie Wolf im Lied wurzelt, so Strauß im
Orchesterstück: die „spmphonische Dichtung“ ist seine eigentliche Domäne, oder vielmehr,
sie ist es gewesen, bis seine Technik so ungeheuer gewachsen war, daß sein Besitz an see-
lischem Gut ihr nicht mehr genug Manifestationsobjekte bot.
Strauß war in seiner Zugend ein begeisterter Verehrer der Brahmesschen Kunst,
wurde dann aber, hauptsächlich durch den Einfluß Alexander Kitters, in das Fahrwasser
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