Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
84 Deutsche Musik. XlI. Buch. 
Liszts und Wagners getrieben, deren Prinzipien er in durchaus persönlicher Weise ver- 
folgte. Gleich Wagner war auch Liszt davon überzeugt, daß Beethoven in der Form 
der Symphonie alles ausgesprochen hätte, was überhaupt in ihr gesagt werden könne. 
Daß dies ein verhängnisvoller Zrrtum war, der in den Köpfen jüngerer Musiker viel 
Unheil angerichtet hat, bedarf kaum des Nachweises. Aber während Wagner nun weiter 
schloß, daß infolgedessen die reine Instrumentalmusik aufzugeben sei, versuchte Liszt 
das Problem auf andere Weise zu lösen, indem er poetische Vorstellungen zum Ausgangs-- 
punkt seiner Schöpfungen machte; das poetische Programm, das häufig aus einer Oich- 
tung gezogen war, wurde gewissermaßen zum Gerüst des Instrumentalstückes, zum 
formgebenden Prinzip, das den Umriß und alles einzelne der Gestaltung bedingte. 
Oamit hatte die Instrumentalmusik das Gebiet ihres eigenen Materials verlassen und 
sich mit einer anderen Kunst verbunden, wie in der Oper und dem Lied, nur daß in der 
spmphonischen Dichtung jene andere Kunst nicht tatsächlich mitvorhanden war, sondern 
durch die Phantasie des Zuhörers immerfort ergänzt werden mußte. Darin lag eine 
Fehlerquelle, die in der Praxris denn auch tatsächlich der Anlaß zu vielen Mißbildungen 
geworden ist. 
Liszt also war es, dem Richard Strauß als Instrumentalmusiker nachfolgte, aber 
er Überholte ihn bald beträchtlich, weil er die größere musikalische Potenz und den feineren 
Sinn für Form besaß. Auf dem Gebiet der spmphonischen Dichtung hat Strauß nicht allein 
die echtesten künstlerischen Erfolge gehabt, sondern überhaupt das Bedeutendste geschaffen, 
was wir darin besitzen, und zwar ist das nach meiner Meinung „Don Zuan“ (1889), 
„Tod und Verklärung“ (1890) und „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ (1895). 
Im Don Zuan zeigt sich vielleicht die reichste spezifisch musikalische Erfindung, 
dazu ist die Gruppierung, die Verteilung von Licht und Schatten so Uar und übersichtlich, 
daß das Werk ohne weiteres einleuchtet. „Tod und Verklärung“ beruht nicht, wie die 
meisten spmphonischen Dichtungen von Liszt auf einem literarischen Werk, das man 
kennen muß, um die Musik zu verstehen, sondern der Vorwurf ist etwas allgemein Mensch- 
liches, man braucht nur die Organe der künstlerischen Empfängnis zu öffnen, um un- 
mittelbar ergriffen zu werden, und diese Eigenschaft hat dem Werk eine so große Zahl 
von Verehrern geschaffen. Der „Till Eulenspiegel“ wendet sich wieder an einen lleineren 
Kreis an Zuhörer von musikalischer Natur. Die Musik erreicht hier einen bisher un- 
bekannten Grad von Deutlichkeit im Schildern und Darstellen — ob das ihr Ziel sein 
kann, soll nicht untersucht werden — sie wird fast zur Rede und Bildkunst, ist zudem so 
witzig und geistvoll, daß man nicht anstehen wird, dies Stück als genial zu bezeichnen. 
In „Also sprach Zaratbustra“ (1895) weicht Strauß von dem gangbaren Wegschon 
beträchtlich ab, denn NRietzsches Dichtung, welche die Entwickelung einer Weltanschauung 
schüldert, eignet sich gar nicht zu einer Umdeutung in Musik. Die Musik kann keine Ge- 
danken ausdrücken, diese kommen für sie nur insoweit in Betracht, als sie unter Um- 
ständen Gefühlserreger sein können, und die Darstellung psychologischer Prozesse von 
der Ausdehnung und Verschiedenheit, wie sie uns im Zarathustra entgegentreten, ge- 
hört für sie, bei der Bieldeutigkeit selbst der ausdrucksrollsten Tonfolge, ebenfalls zur 
Unmöglichkeit. „Ein Heldenleben“ (1899), eine Selbstglorifizierung des Komponisten, 
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