98 Theater. XI. Buch.
Aber es fehlt ihm die Gabe, als Herzenskündiger zu erscheinen und das Bild wahrhafter
Leidenschaft zu entrollen. Statt dessen verkündet er matte Entsagung. Er krankt ferner
an dem Fehler, sich häufig zu wiederholen, so daß Motive seiner früheren Werke in den
späteren immer wieder erklingen; namentlich die „Magda“ aus der Heimat hat gar zu
viele Nachahmerinnen in den späteren Arbeiten gefunden. Das Neue in diesen Arbeiten
seiner zweiten Periode besteht darin, daß er das Parteitreiben in den Kreis seiner Schilde-
rungen zieht und darzutun sich bemüht, wie der Moloch der Partei, entweder rücksichtslos
seine Opfer fordert oder mindestens ihr Tun und Lassen nach bestimmten Forderungen
heischt. Während dies Problem in „Eslebe das Leben" nicht sonderlich glaubhaft aus-
geführt wird, erweist sich „Sturmgeselle Sokrates“ jedenfalls als belebtes, im ganzen
glaubwürdiges Bild der älteren und jüngeren Generation, wobei die ältere, an ihren
Idealen festhaltend, unsere Sympathie sich wahrt, während die jüngere, den neuen Kraft-
worten zujubelnd, die Oberhand behält. Aber die Zugend ist recht wie der Most, der sich
absurd gebärdet, und der Verfasser läßt nicht deutlich genug erkennen, welcher Partei er
eigentlich von Herzen zugetan ist.
Sein letztes Stück „Die drei Reiherfedern“, die in eine blutlose Vergangenheit
geleiten, sind nur eine schwächliche Umdeutung dunklen Aberglaubens und bieten außer
der Erfindung eines männlich-kühnen Draufgängers, des Knechtes Hans Lorbaß, mehr
Schemen alsharaktere, aber keine wirklich künstlerische Darstellung vergangener Zustände.
L. Fulda. Während Sudermann nicht den sogenannten Modernen zuzurechnen ist,
— vielmehr deren Bestrebungen verspottete und zur Vergeltung von ihnen
verachtet wurde, hat Ludwig Fulda, persönlich mit den Führern der neuen Richtung
befreundet, sich ihnen kameradschaftlich angeschlossen und ist doch als Dichter seine eigenen
Wege gegangen. Ein Sprachkünstler hervorragender Art, ein gründlich gebildeter, fein
und ästhetisch empfindender Mensch, so tritt er in allen seinen Werken auf. Seine Lust-
spiele, von denen hier ausschließlich zu reden ist, sind keine Meisterleistungen, wie seine
UÜbersetzung von Rostands Cyrano de Bergerac und seine unvergleichliche Verdeutschung
Wolières, sie tragen nicht die Bedingung der Ewigkeitsdauer an sich, aber es sind Werke
eines feinen Geistes, in edler Sprache geschrieben, mit sicherer Beherrschung aller Mittel.
Den ersten großen, vollverdienten, nicht wieder erreichten Erfolg erlangte er durch den
„Talisman"“. Die Dramatisierung eines Märchenstoffes, bei dem man nicht, wie es
häufig geschehen ist, starke und bewußte Anlehnung an die nordische Literatur suchen darf,
ein Märchen ohne Wunderbares und Unbegreifliches, mit starken satirischen Wendungen
gegen Hofschranzentum, mit echt menschlicher Erhebung der Ni#edrigen und Dürftigen
und mit liebenswürdiger Verklärung der Liebe.
Fulda hat seitdem manche ähnlichen Märchenstoffe bearbeitet, sich auf dem Gebiet
der Tragödie versucht (Herostrat), Künstler- und Gelehrtenkreise vergangener Epochen
zu beleben unternommen (Novella d’'Andrea), aber seine Domäne ist recht eigentlich
das Zierliche, nie Spielerische, das Elegante, nicht Frivol-Mondäne, das an pspchologischen
Problemen keineswegs vorbeigeht, ohne sich ihnen grüblerisch vollkommen gefangen zu
geben.
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